OLD SUREHAND 1. TEIL
ORIGINAL FILM STORY UND FILM BILDER
FORTSETZUNG TEIL B: OLD SUREHAND 1. TEIL TEIL A
Die vier ritten nicht den gleichen Weg zurück, den Judith und
Toby gekommen waren. Old Surehand kannte eine Abkürzung,
die über ein felsiges, mit einzelnen Büschen bestandenes
Hochplateau führte. Dort, wo das Plateau zu einer Senke
abfiel, stand hart am Abgrund eine uralte, vertrocknete Silberpappel. Als sich die Reiter dem Baum näherten, hob Old Surehand plötzlich Schweigen gebietend die Hand. Der
Schrei eines Käuzchens ertönte von der Riesenpappel her.
«Wartet hier», befahl Old Surehand kurz und ritt allein weiter.
In der Nähe des Baumes traf er mit Winnetou zusammen, der
ihn ernst begrüßte. Danach teilte ihm Winnetou mit: «Von
Fort Brighton sind Soldaten ausgeschickt worden. Wenn
Maki-Moteh davon erfährt, wird er meinen, ihr habt es veranlaßt, und dann kann niemand mehr einen Krieg verhindern.
Kann Surehand die Soldaten nicht aufhalten?» Dieser versprach, zu tun, was er könne. Winnetou hatte aber noch eine
andere Neuigkeit zu berichten. Etwa zwei Stunden westlich
von hier habe er eine alte, längst verlassene und gänzlich
verlotterte Posthalterei beobachtet. Ein Reiter sei in gestrecktem Galopp darauf zugeritten, habe angehalten und sei in das Gebäude gegangen. Winnetou habe in ihm den «General» erkannt, der Maki-Moteh die 100 Gewehre versprochen habe. Old Surehand zeigte deutlich seine Befriedigung über
diese Auskunft. Er sagte: «Dieser Mann ist der Mörder meines
Bruders. Jahrelang habe ich auf eine Begegnung mit ihm
gewartet. Ich danke dir, Winnetou!» Dieser blickte seinen
Freund ein Weilchen lächelnd an, hob dann grüßend die Hand,
wendete sein Pferd und verschwand. Old Surehand sah ihm
einen Augenblick nach, dann galoppierte er zu den andern
zurück. Er erzählte ihnen kurz die Neuigkeit von den Soldaten
und daß sie um jeden Preis aufgehalten werden müßten. Dann
bat er Toby, ins Fort zu reiten und General Brown zu bitten,
die Soldaten sofort zurückzurufen. Er solle ihm sagen, Old
Surehand hätte zwingende Gründe dafür. Dann machte er
Toby auf die Gefährlichkeit des Rittes aufmerksam. Aber
Toby wollte nichts davon hören. Er kenne Fort Brighton, sagte
er, bat Judith, auf sich aufzupassen und galoppierte davon.
Hinter einem Felsen erhob sich ein Bandit, der alles beobachtet hatte, bestieg sein Pferd und machte
sich in entgegengesetzter Richtung auf den Weg.
Old Surehand ritt mit Old Wabble und Judith nach der verlassenen Posthalterei, um dort mit dem «General»
zusammenzutreffen. Dieser war durch den Banditen von dem bevorstehenden Besuch unterrichtet worden und beobachtete die
drei Reiter aus sicherer Entfernung. Vor der Posthalterei lag
Potter in Deckung, um ihre Ankunft rechtzeitig im Haus zu
melden. Als sie auf dem Platz vor dem Hause von ihren
Pferden sprangen, war Potter längst verschwunden, und nichts
deutete auf die Anwesenheit von Menschen hin. Judith sagte:
«Es sieht aus, als ob hier niemand wohnte.» Doch Old Wabble
schnupperte und lachte dann: «Dieser Niemand kocht aber
eine Hühnersuppe!» Old Surehand nahm sein Gewehr aus
dem Sattelhalfter und deutete den andern, ihm zu folgen.
Dann klopfte er kurz an die Tür; stieß sie auf und trat ein.
Er kam in eine finstere Küche. Am Herd stand eine Frau und
rührte in einem dampfenden Suppentopf. Erstaunt drehte sie
sich um, als sie die Eintretenden hörte, und stieß einen
Schreckensschrei aus. Old Surehand entschuldigte die Störung damit, daß er geglaubt habe, das Haus sei unbewohnt.
Die Frau hatte sich schnell von dem Schrecken erholt. Sie
stellte sich als Delia vor und lud die drei Fremden ein, hereinzukommen. Als sie Old Wabbles hungrigen Blick auf den Suppentopf bemerkte, bot sie ihnen sogar ein Nachtessen an.
Sie koche immer mehr, als für sie allein nötig wäre, damit ihr
Mann, wenn er unerwartet von der Jagd heimkehre, etwas zu
Essen vorfinde. Judith war sehr erfreut über das Angebot und
half Delia eifrig beim Tischdecken. Ungeduldig wartete Old
Wabble mit dem Schöpflöffel in der Hand neben dem Suppentopf. Delia rief ihm gerade zu, er könne die Suppe schöpfen, als direkt über ihren Köpfen ein Poltern ertönte. Erschrocken
schauten alle zur Decke. «Ihr sagtet doch, ihr wäret allein
hier», sagte Old Surehand zu Delia. «Ach ja», antwortete diese,
«mein alter, kranker Vater lebt dort oben, ich hab es euch nur
zu sagen vergessen. Aber setzt euch doch und eßt, ich gehe
nur schnell hinauf und sehe nach, was er braucht.»
Über eine schmale Leiter stieg Delia zur Decke hinauf,
öffnete eine Klappe und verschwand im oberen Raum. Dort
befand sich aber nicht ihr alter Vater, sondern Potter und der
Bandit Wynand saßen auf dem Boden. Durch ein Loch in der
Falltür hatte Potter alles beobachtet, was unten geschah. Als
Wynand auch einmal durch das Loch gucken wollte, stolperte
er und verursachte den Lärm, der unten gehört worden war.
Flüsternd fragte Delia: «Sind es die richtigen?» Potter antwortete eifrig: «Ganz sicher! Du wirst ihnen jetzt den Wein geben, dann können wir den Rest besorgen.» Dann stieg Delia
wieder in die Küche hinunter und erklärte: «Er wollte nur wissen, wer ihr seid.»
Als die Suppe gegessen war, öffnete Delia eine Weinflasche
und schenkte jedem ein Glas ein. Zur Begrüßung, sozusagen,
erklärte sie lächelnd. Old Wabble leerte sein Glas mit einem
Zug. Auf Judiths Warnung, sich nicht zu betrinken; antwortete
er prahlerisch: «Ich kann gar nicht betrunken sein.» Aber
gleich darauf fiel ihm der Kopf zur Seite - er schlief. Als er
im Schlaf eine heftige Bewegung machte, kippte der Stuhl
um, und er fiel zu Boden. Wütend stolperte er wieder auf die
Füße und stöhnte: «Ich bin nicht betrunken, nur müde,
müde ...» Surehand bat Delia, seinem Freund einen Raum
zu zeigen, wo er schlafen könne, sie seien weit geritten. Dabei
dachte er: «Merkwürdig, so habe ich ihn noch nie gesehen.»
Kaum lag Old Wabble in der winzigen Kammer auf dem Bett,
als er schon zu schnarchen anfing. Auch Judith spürte die
Wirkung des Weins. Sie stützte den Kopf in die Hände, murmelte eine Entschuldigung und fiel dann vornüber auf den
Tisch. Old Surehand hob sie auf und trug sie in die Schlafkammer. Old Wabble mußte es sich auf dem Boden bequem
machen, und Judith wurde auf das Bett gelegt.
Dann kehrte Surehand schwankend in die Küche zurück und
lehnte sich erschöpft an die Wand: «Nun gut, das wars also»,
lallte er mit schwerer Zunge. «Was war in dem Wein?» Grinsend antwortete Delia: «Das werdet ihr nie erfahren!» Jetzt
schwankte Old Surehand wieder und plumpste dann plötzlich
ohnmächtig auf das Bett an der Wand. Delia näherte sich ihm
auf Zehenspitzen, sah lange auf ihn hinab und rief dann zur
Decke hinauf: «Alles in Ordnung, Jim, du kannst herunterkommen.» Gleich darauf öffnete Potter die Klapptüre und
stieg die Leiter herunter. Wynand blieb oben, um ihm im Notfall Feuerschutz zu geben: Potter trat zu Old Surehand und
betrachtete ihn mißtrauisch. Aber der gefürchtete, für unüberwindbar geltende Westmann rührte sich nicht. Da wandte sich
Potter grinsend zu Delia und frohlockte: «Wir haben es geschafft! Wir haben es geschafft! Der «General» wird uns
10 000 Dollars für seinen Kopf bezahlen! Zehntausend Dollars!» Nach diesem Freudenausbruch drehte er sich wieder
um, hob langsam die Pistole und zielte auf Surehands
Kopf. Dann sagte er über die Schulter zu Delia: «Es ist
nur ein Jammer, daß er niemals erfahren wird, wer es getan
hat!»
In diesem Moment schoß Old Surehand in die Höhe, schlug
Potter die Pistole aus der Hand und richtete seine eigene
gegen ihn. Dabei knirschte er: «Aber er wird erfahren, wer es
nicht getan hat!» Delia starrte ihn erschrocken an und stammelte: «Aber - ich verstehe nicht - ihr habt doch auch - von
dem - Wein getrunken?» Doch Surehand schüttelte den
Kopf: «Ich trinke niemals Wein, nur Bier. - Und jetzt hebt ihr
beide schön brav die Hände und bleibt ruhig.» Potter hob
langsam die Hände. Seine Augen wanderten nach oben zu
der Klapptüre. Old Surehand bemerkte den Blick, warf sich
blitzschnell zur Seite, und schon krachte ein Schuß aus dem
Guckloch. Surehand feuerte blitzschnell zweimal hintereinander zurück.
Die drunten konnten nicht sehen, daß Wynand durch die
Bretter hindurch getroffen wurde und langsam vornüber sank.
Sie bemerkten nur, wie sich die Klapptüre ein klein wenig
senkte, als sein Körper darauf fiel.
Delia hatte sich die Schießerei zunutze gemacht und Potters
Pistole vom Boden aufgehoben. Jetzt warf sie sie ihrem
Spießgesellen zu. Dieser fing sie geschickt auf und schoß
auf Old Surehand. Doch der Schuß ging daneben, nur ein
Krug zersprang in Stücke. Surehand verteidigte sich und
schoß auch. Noch einen Augenblick blieb Potter stehen, dann
fiel er nach vorne - tot. Schreiend wollte sich Delia auf ihn
stürzen, besann sich aber anders und hob statt dessen die
Pistole auf. Drohend ging sie auf Old Surehand zu und keifte:
«Ihr habt ihn mir getötet, ihr sollt es büßen!» Langsam brachte
sie die Pistole in Anschlag, und ihr Finger krümmte sich schon
am Abzug. In diesem Augenblick splitterte über ihren Köpfen
Holz, die Klapptüre flog auf, und der tote Wynand fiel ihnen
vor die Füße. Delias Pistole ging los, traf aber nicht. Delia
sah von ihren beiden toten Spießgesellen zu Surehand und
ließ dann die Pistole fallen.
Jetzt erschien auch Old Wabble wieder in der Küche. «Warum
macht ihr solchen Krach? Dabei kann kein Mensch schlafen!»
reklamierte er. Old Surehand erklärte ihm alles in kurzen
Worten und weckte dann Judith auf. Noch etwas wackelig
stieg diese auf ihr Pferd, meinte aber, es werde schon gehen.
Als die drei von der Posthalterei wegreiten wollten, stürzte
ihnen Delia nach und schrie, sie dürften sie nicht mit den
beiden Toten allein lassen, was sie machen solle. Doch Old
Surehand empfahl ihr ungerührt, die Banditen doch zu begraben. Dann gab er dem Pferd die Sporen und sprengte den andern voran talwärts.
Toby war die Nacht durchgeritten, um möglichst schnell nach
Fort Brighton zu kommen. In der Morgendämmerung näherte
er sich einem gewaltigen Wasserfall, dessen Tropfenschleier
von den ersten Sonnenstrahlen mit Silbersternen bestreut wurden.
Als er gerade um einen Felsen bog, kamen ihm drei Reiter
entgegen und hielten genau an der Stelle an, wo ein schmaler
Weg nach links abzweigte. Toby konnte ihnen nicht ausweichen,
und er wollte es auch gar nicht. Er war viel zu unerfahren, um
zu erkennen, daß die drei Männer Banditen waren. Er hielt an
und fragte die Reiter nach dem Weg. «Das trifft sich gut», antwortete der eine, «wir müssen auch nach Fort Brighton zum
«General». Ihr könnt euch uns anschließen. Toby glaubte ihnen
und schon nahmen sie ihn wie einen Gefangenen in die Mitte
und bogen mit ihm in den schmalen Seitenweg ein.
Die drei Banditen ritten mit Toby ins Gebirge hinein und
führten ihn zuletzt in ein steil ansteigendes Felsental. Auf
der einen Talseite öffnete sich in der Felswand ein schwarz
gähnendes Loch. Vor diesem Höhleneingang hielten die
Banditen schließlich an. Toby sprang vom Pferd, deutete auf
das Loch im Felsen und fragte erstaunt: «Das soll Fort
Brighton sein?» Der Reihe nach schaute er dabei seine Begleiter an. Diese konnten sich nicht länger zurückhalten. Sie
verzogen ihre Gesichter zu einem boshaften Grinsen und
brachen schließlich in ein schallendes Hohngelächter aus.
Jetzt erst erkannte Toby, daß er Banditen auf den Leim gegangen war. Er war sich sofort klar darüber, daß er nun seinen
Auftrag nie werde ausführen können, doch er Sprach kein
Wort. Einer der Banditen sagte schließlich, auf den Höhleneingang weisend: «Da hast du dein Fort Brighton, wir nennen
es nur das Labyrinth des Todes. Wer sich darin nicht auskennt, sieht die Sonne nie wieder. - So, und jetzt kannst du
dem «General» deine wichtige Mitteilung überbringen.» Damit
stieß er Toby mit der Faust in den Rücken und schob ihn auf
den Höhleneingang zu.
Hinter einer Felsnase versteckt hatte Winnetou alles beobachtet. Als die drei Banditen mit Toby in der Höhle
verschwunden waren, huschte er leise davon.
Toby wurde in eine große Höhle geführt. Hinter einem zum
Schreibtisch behauenen Felsblock saß der «General» und
studierte Bens Goldminenplan, als ihm der Gefangene gemeldet wurde. Er war allerdings über Tobys Ankunft nicht
erfreut. Er schnauzte die Banditen an, wer ihnen denn erlaubt
habe, fremde Leute herzuschleppen. Als die drei erklärten,
Potter habe es ihnen befohlen, fragte ihr Kumpan Joe: «Tja -
wo steckt denn eigentlich Potter?» Der «General» antwortete
kurz: «Er erledigt Old Surehand.» Joe war skeptisch: «Das
wollten schon viele, aber der ist zäh», meinte er und entfernte
sich kopfschüttelnd.
Der «General» musterte jetzt Toby von oben bis unten. Er
erkannte in ihm sofort Richter Edwards Büroangestellten.
Dann begann er ihn auszufragen über woher und wohin und
in wessen Auftrag er unterwegs sei. Aber er bemühte sich
umsonst. Toby gab auf keine einzige Frage Antwort. Schließlich verlor der «General» die Geduld. Er stand auf und drohte: «Du hast eine halbe Stunde Zeit. Wenn du dann sprechen
willst - und du wirst bestimmt wollen -, brauchst du nur die
Wache zu rufen.» Dann trat er zu den Wächtern und gab ihnen
genaue Anweisungen.
Die Wächter nahmen Toby sofort in die Mitte und schleppten
ihn weiter in die Tiefen des Labyrinths. An einem unterirdischen See hielten sie an. Die riesige Höhle wurde kaum
erhellt von den Fackeln, die an Tropfsteinsäulen befestigt
waren. In dem schwarzen, glatten Wasser spiegelte sich jedes
einzelne Licht. Toby wurde mit starken Stricken an einen
dicken Tropfstein gefesselt, so da8 er sich nicht mehr bewegen konnte. Dann mußte er zusehen, wie eine Todesfalle
für ihn aufgebaut wurde. Die Banditen hängten etwa einen
Meter über seinem Kopf an einem dicken Tau einen mächtigen Tropfsteinbrocken auf. Das Tau führten sie vom Stein
zur Felswand, wo es befestigt wurde. Zum Schluß stellten sie
eine brennende Kerze darunter. Wenn die Flamme das Tau
durchgesengt hatte, mußte der Felsblock herunterfallen und
Toby zermalmen. Als alles zu ihrer Zufriedenheit hergerichtet
war, verließen die Banditen die Höhle. Toby blieb allein
zurück und starrte zu dem Felsblock hinauf. Jetzt wußte er,
warum ihm der «General» eine halbe Stunde Zeit gegeben
hatte. Ungefähr solange würde es dauern, bis die Kerzenflamme ihr Werk vollendet hatte.
Langsam verrann die Zeit. Toby dachte an Judith, an Old
Surehand, an Old Wabble, an die stolze Gestalt Winnetous,
den er nur von weitem gesehen hatte. Immer wieder wanderte sein Blick zu dem Steinblock über seinem Kopf und
zu der Kerzenflamme, die das dicke Tau schon angesengt hatte.
Der «General» ging in die Haupthöhle, um sich dort die halbe
Stunde mit dem Studium des Planes zu vertreiben. Mitten in
der Höhle brannte ein großes Feuer. Er zog den Plan aus der
Tasche, ohne auf die Banditen zu achten, die sich im Hintergrund aufhielten. Doch jetzt trat Joe vor, den Revolver in der
Hand. Er richtete ihn auf den «General» und befahl böse: «So,
jetzt zeigst du uns allen, wo das Gold liegt, verstanden!» Als
Antwort warf der «General» den Plan ins Feuer, wo er rasch
in Flammen aufging. Joe rannte herzu und wollte das kostbare
Papier retten, aber er kam zu spät, der Plan war schon zu
Asche zerfallen. «Du bist verrückt!» keuchte er, und die
übrigen Banditen näherten sich drohend. Mit freudigem Grinsen rieb der «General» die Hände, als er antwortete: «Im
Gegenteil! Jetzt erst bin ich ganz sicher vor euch. Ihr müßt
nun sorgfältig achtgeben, daß mir nichts passiert, denn der
kostbare Plan existiert nur noch in meinem Kopf!» Joe war
außer sich vor Wut und nahe daran, den «General» zu erschießen. Aber seine Kumpane schrien ihm zu: «Laß ihn! Er
hat ja recht! Ohne ihn finden wir das Gold nie!» Da steckte
Joe den Revolver ein, spuckte achselzuckend ins Feuer und
schlurfte davon. Die andern Banditen folgten ihm.
Während Toby seinen Gedanken nachhing, ruhten Old Surehand, Judith und Old Wabble sich in einem dichten Gebüsch
nahe einem kleinen Weiher aus. Plötzlich hörten sie die
Hufschläge zweier Pferde. Vorsichtig hielt Old Surehand
Ausschau und sah gerade noch zwei Indianer hinter einem
Hügel verschwinden. Gleich darauf sah er eine ganze Kavallerieabteilung heranreiten. Sofort führte er sein Pferd aus den
Büschen und ritt den Soldaten entgegen. Old Wabble und
Judith folgten ihm. Erstaunt hielten der Captain und der
Sergeant an, als sie die drei Reiter herangaloppieren sahen.
Schon zügelte Old Surehand vor ihnen sein Pferd und grüßte.
Dann fragte er: «Warum seid ihr hier? Habt ihr meine Nachricht nicht bekommen?» Erstaunt antwortete der Captain, er
wisse nichts von einer Nachricht. Old Surehand stellte sich
dem Captain nachträglich noch vor, und als dieser den berühmten Namen hörte, schwand sein Mißtrauen. Er ließ sich
von Surehand beiseite nehmen und hörte seinen Erklärungen
aufmerksam zu. Old Surehand schloß mit den Worten: «Ich
bitte euch, begebt euch nicht auf Comantschengebiet, sonst
bricht eine Kriegshölle los, die niemand aufhalten kann.» Der
Captain war beeindruckt von diesen Worten, erwiderte aber,
er könne seinem Befehl nicht zuwiderhandeln. Und sein Befehl
laute, das Gebiet der Comantschen zu besetzen. Aber Surehand redete ihm eindringlich zu: «Manchmal ist es
ehrenhafter, einen Befehl nicht auszuführen. Kennt ihr das Tal der
Skelette? Nein? Aber ihr habt doch einen Führer, der euch
den Weg zeigen kann?» Der Captain winkte einen älteren
Indianer, den Führer Bonoja, herbei. Dieser gab an, das Tal
der Skelette zu kennen. Surehand gab ihm den Befehl, die
Soldaten dorthin zu führen. Den Captain bat er, auf alle Fälle
dort auf ihn zu warten und unter keinen Umständen zu schießen.
Er werde dann ohne einen Tropfen Blut zu vergießen eine wichtige Schlacht gewinnen. Der Captain entschloß sich nach kurzem Nachdenken, Old Surehands Rat zu befolgen. Er erklärte sich auch bereit, Judith und Old Wabble unter seinen Schutz zu nehmen. Old Surehand selbst machte sich auf den Weg, um Toby zu suchen. Er wußte, daß etwas mit ihm schief gegangen war und machte sich Sorgen um ihn.
Hoch über der Höhle, in welche Toby gebracht worden war,
huschte lautlos und schnell wie eine Katze Winnetou zwischen den Steinen herunter und verschwand in der
Dunkelheit eines anderen Höhleneinganges. Dumpfes Brausen erfüllte die Luft, und bald stand Winnetou an dem reißenden
Fluß, der hier durch die Höhle schäumte. Nicht weit von ihm
lehnte ein Bandit an einem Felsen. Er hatte diesen Geheimzugang zu dem Labyrinth zu bewachen. Winnetou mußte an
ihm vorbei, um tiefer in die Höhle vordringen zu können.
Geduckt schlich er den Mann von hinten an. Einmal rutschte
er auf den nassen Felsen ein wenig aus, und sein Mokassin
verursachte ein leise kratzendes Geräusch. Der Wächter
hörte es und fuhr herum. Als er Winnetou sah, wollte er seinen
Colt ziehen, aber er war zu langsam. Winnetou sprang ihn an,
schlug ihm den Revolver aus der Hand und versetzte ihm
einen Hieb vor das Kinn. Der Bandit war betäubt und stürzte
hintenüber in den Fluß, dessen Fluten ihn mit sich fortrissen.
Mit langen Sprüngen setzte Winnetou von Fels zu Fels über
das Wasser und verschwand in der nächsten Höhle.
Toby sah eben wieder verzweifelt zu dem Steinbrocken hinauf,
als der «General» wieder in die Seehöhle trat. Er ging zuerst
zu der Kerze und betrachtete kritisch ihr Zerstörungswerk.
Dann trat er zu Toby, zeigte auf das schon stark angesengte
Tau und sagte: «Viel Zeit haben wir nicht mehr. Hast du mir
nichts zu sagen?» Toby schwieg. «Na schön, dann fahr zur
Hölle», zischte der «General» und wandte sich von Toby ab.
Seine Schritte verhallten im dunklen Höhleneingang.
Toby war wieder allein. Angst und Entsetzen erfüllten sein
Herz. Eintönig fielen Tropfen von der Decke ins Wasser. Sie
kamen Toby vor wie das Ticken einer Uhr, die die Sekunden
bis zu seinem Tode zählte. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen. Mit einem Seitenblick sah er, wie wieder eine Faser
des Taues herunterfiel. Lange würde es nun nicht mehr
dauern. Mit aufgerissenen Augen erkannte er, daß sich der
Stein, von dem nachgebenden Tau aus dem Gleichgewicht
gebracht, leise, fast unmerklich zu drehen anfing. In Erwartung des Todes schloß er jetzt die Augen.
Da tauchte Winnetou hinter einem Felsen auf. Mit raschem
Blick erkannte er die Gefahr, die Toby, drohte. Blitzschnell
zog er sein Messer und warf es. Die scharfe Schneide rasierte
die Kerze von ihrem Stein, sie rollte zu Boden und erlosch.
Mit zwei Sätzen sprang Winnetou auf Toby zu, hob das Messer
auf und befreite ihn von seinen Fesseln. Dabei flüsterte er
ihm zu: «Kommt!»
Beide eilten in die Dunkelheit der Höhle zurück. Kaum waren
sie verschwunden, krachte der Tropfsteinbrocken herunter
und zermalmte alles unter sich.
Winnetou führte Toby sicher durch alle Windungen der
Höhle. Bald sahen sie das Tageslicht durch den Geheimausgang schimmern. Jetzt mußte nur noch der Fluß überquert
werden, dann standen sie im Freien. Ohne sich aufzuhalten
kletterten sie weiter, bis sie hinter einem Felsen in Deckung
gingen, von dem aus sie den Platz vor dem unteren Höhleneingang bequem überblicken konnten. Was sie sahen,
überraschte Toby sehr. Winnetous Gesicht blieb unbeweglich, er
hatte gewußt, daß dies geschehen würde.
Quer über den Platz vor der Höhle hatten sich etwa zwanzig
Comantschen in einer Reihe aufgestellt und reichten einander
von Hand zu Hand Gewehre zu. Am Schluß der Kette standen
die übrigen Indianer und holten sich jeder eines. Die übrigbleibenden Gewehre wurden gebündelt und auf Packpferde geladen. Zum Schluß kamen noch fünf Munitionskisten dazu.
Als die Waffen verteilt waren, traten Maki-Moteh und der
«General» aus der Höhle. Wie als Abschluß einer Verhandlung sagte der Häuptling: «100 Gewehre und fünf Kisten
Munition für 100 Fuß Land am Teufelskopf. Wir sind quitt,
«General». Das Wort «General» sprach Maki-Moteh so aus,
als ekle es ihn, es überhaupt in den Mund zu nehmen. Der
«General» fühlte auch ganz genau, daß der Indianerhäuptling
seine Machenschaften und seine lumpige Gesinnung bis ins
letzte durchschaut hatte. Der Abschied fiel sehr kühl aus, und
als Maki-Moteh seinen Indianern voraus den Pfad zwischen
den Felsklippen hinunterritt, starrte ihm der «General» böse
nach.
Kaum waren die Comantschen verschwunden, trat Joe zum
«General» und sagte, es nehme ihn wunder, ob sie das richtige
Gebiet eingehandelt hätten. Es sei schade, daß er den Plan
nicht habe studieren dürfen, vier Augen sähen bekanntlich
mehr als zwei. Aber der General wies ihn ab: «Meine Augen
sind gut! Das habe ich bewiesen, als ich auf 300 Fuß Entfernung diesen Sohn von Maki-Moteh - ffft - umlegte!» Damit trat er in die Höhle zurück, und Joe folgte ihm.
Winnetou und Toby hatten von ihrem Beobachtungsposten
aus alles gesehen und jedes Wort verstanden. Als sich der
«General» prahlerisch mit dem Mord an Tou-Wan brüstete,
schauten sich die beiden ganz verstört an. Winnetou faßte
sich aber schnell und setzte Toby seine Pläne auseinander:
«Mein weißer Bruder kennt nun den Mörder, und seine Aussage gilt vor einem Gericht mehr als die eines Indianers, möge er noch so angesehen sein bei seinem eigenen Volke.
Old Surehand hat Maki-Moteh den Mörder seines Sohnes
versprochen. Bald werden die Totentrommeln schweigen, Old
Surehand muß sich sehr beeilen. Getraut sich mein weißer
Bruder, allein zu der verlassenen Posthalterei zu reiten und
ihm zu erzählen, was er gesehen und gehört hat?» «Ich reite
wie der Teufel!» antwortete Toby eifrig, «aber halt, ich habe
ja kein Pferd!» Lächelnd bedeutete ihm Winnetou, über eine
Felskante zu blicken. Aus den dort zwischen Felsen weidenden Pferden möge er sich das beste aussuchen.
Sich entfernend sagte er noch: «Winnetou selbst wird die Spur dieses
Mörders nicht mehr verlassen, bis Old Surehand ihn holen
kommt.» Dann huschte er davon, seine Aufgabe auszuführen.
Toby holte sich ein Pferd und machte sich auf.
Old Surehand war den Weg nach Fort Brighton geritten, um
nach Toby zu suchen, und Toby mußte ein Stück weit diesen
Weg zurückreiten. Das Glück wollte es, daß er gerade hier mit
Old Surehand zusammentraf. Hastig erzählte er ihm, was er
erlebt hatte. Old Surehand sagte darauf, sie müßten sofort ins
Tal der Skelette reiten und die Soldaten vor den Waffen der
Indianer warnen. Als sie durch ein ödes Bergtal trabten,
hörten sie Hufschlag von Indianerpferden. «Das muß Maki-Moteh sein! Rasch in Deckung!» befahl Old Surehand.
Auf dem Heimweg durchritten Maki-Moteh und seine Indianer
dasselbe öde Bergtal. Hier kam ihnen ein einzelner Reiter
entgegen. Der Häuptling konnte bald Bonoja, den Führer der
weißen Reitersoldaten, erkennen. Als er heran war, hielten
beide an und begrüßten sich förmlich. Trotzdem konnte man
bemerken, daß sie einander sehr gut kannten. Maki-Moteh
sagte knapp zu Bonoja: «Sprich!» Gehorsam begann dieser
zu erzählen: «Die Soldaten sind zu deiner Bestrafung ausgezogen. Wenn der Häuptling der Comantschen den Weißen
den Krieg erklärt, werden sie bereits vor seinen Wigwams
stehen.» «Wo sind sie jetzt?» erkundigte sich Maki-Moteh.
Bonoja berichtete, Old Surehand habe ihm aufgetragen, die
Soldaten ins Tal der Skelette zu führen, aber er habe sie in
das Tal der verlorenen Schreie gebracht. Darauf erwiderte
der Häuptling: «Bonoja hat klug gehandelt Dort werden ihre
Skelette viele Monde lang nicht gefunden werden.» Dann gab
er das Zeichen zum Weiterreiten. Bonoja schloß sich den
Kriegern an.
Hinter Felsen und Gebüsch hatten Old Surehand und Toby
reglos gewartet und alles gesehen und gehört. Als die Indianer abgezogen waren, standen sie auf und bestiegen ihre Pferde. «Wir müssen den Captain warnen, es steht schlimmer,
als ich dachte. Nur gut, daß wir wissen, wo sich die Soldaten
befinden und nicht umsonst ins Tal der Skelette reiten!» Mit
diesen Worten jagte Old Surehand davon, dicht gefolgt von
Toby. Die beiden scheuten keine Anstrengung und schonten
ihre Pferde nicht. Denen stand Schaum vor dem Maul und
flog in großen Flocken zur Erde. Ihre Flanken glänzten von
Schweiß. Ihre Hufe warfen Erdschollen auf. Als der Weg
steiler und felsiger wurde, mußten sie ihr Tempo verlangsamen, und Old Surehand konnte fragen: «Habt ihr Beweise, daß der «General» Tou-Wans Mörder ist?» Toby berichtete,
Winnetou und er hätten es beide von ihm selbst gehört.
Winnetou beobachte jetzt das Labyrinth, damit der «General» nicht entkommen könne. Old Surehand beschloß daraufhin: «Gut, wir werden nachher sofort Maki-Moteh diese Neuigkeit mitteilen. Den «General» hole ich mir später. Nach drei Jahren kann ich jetzt wohl noch drei Stunden warten.» Dann ritten sie lange Zeit schweigend. Endlich kam der Eingang zum Tal der verlorenen Schreie in Sicht. Es war nur ein schmaler Spalt zwischen senkrecht ragenden Felswänden, fast nicht zu erkennen für den, der ihn nicht kannte.
Das Tal der verlorenen Schreie war rings von glatten, unersteigbaren Felswänden umgeben. Die Talsohle war ziemlich
eben. Es gab auf ihr nur wenige Felsblöcke und Büsche, die
Deckung boten. Jede, auch die kleinste Deckung, war von
den Soldaten ausgenützt worden. Jetzt lagen sie da, die
Gewehre im Anschlag und sich wachsam umsehend. Auch
Judith und Old Wabble duckten sich hinter einem Felsbrocken. Der Captain war tief beunruhigt,
seit ihm das Verschwinden Bonojas gemeldet worden war. Er hatte sofort
Verrat gefürchtet. Jetzt wartete er nervös auf die Feinde. Da
ertönte Hufschlag vom Taleingang her. Sofort richteten sich
alle Gewehre dorthin. Zwei Reiter tauchten auf. «Toby! - Old
Surehand!» schrie Judith und rannte den beiden entgegen.
Jetzt trat auch der Captain vor, um die beiden Reiter zu
begrüßen. Diese übergaben ihre Pferde dem Sergeanten, und
OId Surehand sagte dem Captain sofort, er sei von dem
Führer Bonoja an die Comantschen verraten worden. Dies
hier sei das Tal der verlorenen Schreie und nicht wie abgemacht das Tal der Skelette. Auch hätten Toby und er Bonoja
bei Maki-Moteh gesehen und belauscht. Niedergeschlagen
sagte der Captain: «Ich habe es geahnt. Das Tal gefiel mir
nicht. Es ist eine Todesfalle. Die Comantschen werden uns
hier wie Hasen abknallen, wenn sie uns erwischen.» Old
Surehand drehte sich um und blickte hinauf zu den Felsgraten
über ihnen. In langen Reihen standen dort oben schon
Indianer im Kriegsschmuck. Jeder Felsvorsprung in der zerklüfteten Wand im Hintergrund war von ihnen besetzt So
lautlos waren sie angekommen, daß nicht einmal Old Surehand sie bemerkt hatte. «Sie haben uns schon erwischt»,
sagte er jetzt nur und zeigte dem Captain die unbeweglich
stehenden Krieger der Comantschen. «Ich komme vor Kriegsgericht», murmelte der Captain niedergeschlagen, «wenn ich
am Leben bleibe.» Surehand versprach, alles zu tun, was in
seiner Macht stehe und bat ihn, ja mit dem Schießen zu
warten, bis er zurück sei. Er verschwand, und der Captain
ließ Alarm blasen.
Neben einem mächtigen Hickorystamm stand Maki-Moteh
und schaute ins Tal der verlorenen Schreie hinunter. Ganz
genau sah er, wie die Soldaten auf den Alarm hin in Kampfstellung gingen. So einfach würde es für seine Krieger sein, die Bleichgesichter zu besiegen, daß sein Gesicht bei dem
Gedanken Unbehagen ausdrückte. Da ertönte dicht neben
ihm Old Surehands Stimme: «Maki-Moteh hat recht, das wäre
kein Kampf, es wäre Mord.» Der Angeredete fragte ruhig:
«Was hat Old Surehand dem Häuptling der Comantschen
mitzuteilen?» Kalt erwiderte Surehand: «Ich will erstens einen
Verräter aburteilen.» Suchend blickte er sich um und sah
bald den Führer Bonoja. Dieser bemerkte seinen Blick und
zog sich zurück. Er folgte ihm langsam, ungehindert von den
umstehenden Kriegern. Als Bonoja auf ihn schoß, schoß er
zurück, und der Verräter stürzte getroffen ab. Old Surehand
erklärte Maki-Moteh: «Ich kann Verräter nicht leiden, seien
sie nun weiß oder rot.» Der Häuptling erwiderte unwirsch:
«Er war mir nützlich, aber er war ein Wurm und hat seinen
Tod verdient. - Und nun: Hat Old Surehand mir den Mörder
meines Sohnes gebracht, wie er es versprochen hat?» «Nein,
aber ich weiß, wo er ist», antwortete dieser, «es ist der Mann,
der euch die hundert Gewehre verkauft hat!» «Ihr lügt», schrie
der Häuptling. Doch Old Surehand antwortete ruhig: «Ich
lüge niemals.» «Ihr lügt, ihr lügt!» wiederholte Maki-Moteh.
«Der Häuptling der Comantschen nimmt sein Versprechen
zurück. Ihr habt ihm euer Versprechen nur gegeben, damit die
Soldaten ungestört herankommen konnten!» Auf einen Wink
des Häuptlings wurde Old Surehand von fünf Kriegern gepackt und an den Baum gefesselt. Als das geschehen war,
zürnte Maki-Moteh: «Und nun, großer, unbesiegbarer Old
Surehand, nun sieh zu, wie deine weißen Brüder sterben!»
Dann trat er an den Abgrund, um seinen Kriegern das Zeichen
zum Angriff zu geben. Doch gerade als er die Hand heben
wollte, sah er unten Winnetou durch den Taleingang herangaloppieren.
Winnetou ließ sich ohne anzuhalten vom Pferd gleiten und
stand direkt vor dem Captain. Suchend schaute er sich einen
Moment um und fragte dann, warum Old Surehand nicht da
sei. Respektvoll antwortete der Captain, er sei in die Felsen
gestiegen, um mit Maki-Moteh zu sprechen. Aber er fürchte,
die Comantschen würden nicht mehr mit sich reden lassen.
Winnetou beruhigte ihn: «Wartet! Auch Winnetou wird Maki-Moteh aufsuchen.» Er eilte davon und kletterte bald von
Felsblock zu Felsblock zum Kommandostand des Comantschenhäuptlings hinauf. Sofort richteten die Indianer auf
dem Felsgrat ihre Gewehre auf ihn. Doch Winnetou zeigte sich ihnen
in seiner ganzen stolzen Größe, als wollte er ihnen sagen:
«Seht, wer hier steht, und haltet an euch!» Dann rief er mit
ausgebreiteten Armen, so laut, daß Indianer und Weiße ihn
hören konnten: «Maki-Moteh möge hören, was Winnetou
ihm zu sagen hat!» Jetzt erschien Maki-Moteh am oberen
Felsenrand und gab das Zeichen, die Gewehre zu senken.
Dann sagte er laut: «Der Häuptling der Apatschen redet mit
gespaltener Zunge wie ein Bleichgesicht. Man sollte ihn
töten!» Als Antwort auf diese Schmähung lehnte Winnetou
seine Silberbüchse an die Wand und forderte Maki-Moteh
heraus: «Worauf wartet also der Häuptling der Comantschen
noch? Kann er Kimme und Korn nicht mehr in eine Linie
bringen?» Maki-Motehs Augen wurden gefährlich schmal,
als Winnetou noch einmal rief: «Warum schießt Maki-Moteh
nicht?»
Old Surehand hatte alles beobachtet und zischte nun dem
Häuptling zu: «Wenn ihr Winnetou auch nur ein Haar krümmt,
seid ihr ein toter Mann!»
Judith und Toby starrten angstvoll in die Felswand hinauf.
Toby riß sein Gewehr hoch und flüsterte dabei immer wieder:
«Er wird es nicht wagen - er wird es nicht wagen -»
Old Wabble schüttelte den Kopf: «Winnetou hat den Verstand verloren!»
Jetzt rief Winnetou wieder: «Warum schießt Maki-Moteh
nicht? Ist er ein Feigling geworden?» Dieses Schimpfwort
durfte der Häuptling nicht auf sich sitzen lassen. Er forderte
von einem Unterhäuptling sein Gewehr und legte auf Winnetou an. Gebannt schauten alle auf den Finger, der sich am
Abzug krümmte. Unbewegt stand Winnetou. Maki-Moteh
drückte ab, der Schuß knallte, aber immer noch stand Winnetou fest wie ein Baum. Fassungslos schaute ihn Maki-Moteh
an, dann untersuchte er sein Gewehr. Jetzt feuerten auch die
Krieger ihre Gewehre ab, doch Winnetou fiel nicht.
Winnetou ließ die Arme sinken und rief: «Maki-Moteh wundert
sich, daß Winnetou noch lebt. Der «General» hat ihn betrogen
und ihm nur nutzlose Platzpatronen verkauft. Er wollte, daß
die Comantschen im Kampf gegen die Soldaten unterliegen
und er ungehindert das Gold am Teufelskopf holen kann.
Um dies zu beweisen, ist Winnetou hergekommen. Er dankt
Manitou, daß es noch nicht zu spät war!»
Der Comantschenhäuptling ließ den Blick nicht von Winnetou,
als er sagte: «Maki-Motehs Herz ist voller Scham!» In versöhnlichem Ton rief ihm Winnetou zu: «Dann tut, was euch
euer Herz befiehlt.» Da trat Maki-Moteh zu Old Surehand und
schnitt eigenhändig seine Fesseln durch. Dabei sagte er
leise: «Maki-Moteh bittet Old Surehand um Verzeihung. Der
Schmerz um seinen Sohn hat seine Augen mit Blindheit geschlagen.» Old Surehand schüttelte ihm die Hand: «Es ist
alles in Ordnung. Wir wollen nicht mehr daran denken.»
Die Indianer saßen jetzt mit ihren Gewehren auf den Felsen
rings um das Tal. Old Surehand war mit Winnetou und Maki--Moteh ins Tal hinuntergeklettert, um mit dem Captain das
weitere Vorgehen zu besprechen. Er erklärte ihm die Sache
mit den Platzpatronen und daß der «General» im Labyrinth
jetzt nur darauf warte, den Kampfeslärm zu hören. «Und den
soll er auch haben», schloß er. «Maki-Moteh, laßt eure Krieger
alle die Platzpatronen verknallen, und ihr, Captain, laßt aus
allen Gewehren Sperrfeuer schießen, aber natürlich in die
Luft. Ich selber habe eine Verabredung mit dem «General»!
Komm mit, Old Wabble!» Winnetou gab ihm noch den Rat,
das Labyrinth dem Flusse folgend zu betreten, denn der Feind
werde versuchen, durch diesen Hinterausgang zu entkommen.
Dankend verabschiedete sich Old Surehand und stob mit
Old Wabble davon.
Winnetou hatte den Plan seines Freundes verstanden und
übernahm nun das Kommando im Tal der verlorenen Schreie.
Der Captain, der die Klugheit dieses Indianerhäuptlings bewunderte, fügte sich erleichtert seinen Anordnungen.
Zuerst wurden jetzt die Pferde hinter einen großen Felsvorsprung
gebracht und dort angepflockt, damit sie nicht ausbrechen
konnten, wenn der Kampflärm sie erschreckte. Dann gingen
die Soldaten im Tal und die Indianer in den Felsen in Stellung: Winnetou erkletterte einen hohen Felsgipfel, um von dort für alle sichtbar das Signal zum Beginn der «Schlacht»
geben zu können. Er wartete auf die Zeichen von Maki-Moteh
und dem Captain, daß alles bereit sei. Dann hob er seine
Silberbüchse und feuerte einen Schuß in die Luft. Daraufhin
fingen Indianer und Weiße aus allen Gewehren zu schießen an.
Salve folgte auf Salve. Tausendfach warfen die Felswände das
Echo zurück. Der Himmel wurde verdunkelt vom Rauch.
Im Kommandoraum der Höhle saß der «General» hinter seinem Schreibtisch. Ringsum an den Wänden lehnten seine
Getreuen, die ganze üble Räuberbande. Keiner sprach. Alle
lauschten angestrengt auf das Knallen der Schüsse aus dem
Tal der verlorenen Schreie. Auf dem Gesicht des «Generals»
verbreitete sich ein zufriedenes, selbstgefälliges Grinsen. Er
war halt doch schlauer als alle andern. Als der Kampflärm
verstummte, lachte er: «Das war gut! Reitet jetzt hin und
tötet die letzten. Ich komme nicht mit. Mein Kopf muß geschont werden. Er allein weiß, wo das Gold liegt!» .
Joe, der Unteranführer, war einverstanden, aber er ließ zwei
Scharfschützen zur Bewachung des «Generals» zurück, als er
an der Spitze der Bande davongaloppierte. Die Banditen
malten sich so eifrig das Vergnügen aus, das sie im Tal der
verlorenen Schreie erwartete, daß sie Old Surehand und Old
Wabble nicht bemerkten, die beim Herannahen der Banditen
eilig Deckung suchen mußten.
Als die Bande bis auf hundert Meter ans Tal herangekommen
war, ließ Joe halten. Er ritt allein weiter, um die Lage auszukundschaften. Was er sah, war entsetzlich. Der Talgrund war mit «Leichen» von Soldaten übersät, in den Felswänden lagen
und hingen überall «tote» Indianer. Der größte Teil der Kavallerie befand sich jedoch für ihn unsichtbar kampfbereit hinter der Talbiegung. Winnetou hatte sich hinter einem Felsen versteckt und beobachtete. Triumphierend kehrte Joe zu seinen Gesellen zurück: «Es ist gelungen!» rief er, «los, sammelt als
erstes alle Gewehre ein!» Johlend ritten die Banditen ins Tal,
stiegen ab und gingen auf die «Toten» zu.
Jetzt gab Winnetou das Zeichen zum Angriff, und der Captain
gab es an seine Leute weiter. Der Hornist blies das Signal
zum Kampf, und schon preschten die Reiter um den Felsen
herum in den Rücken der Banditen und schnitten ihnen den
Rückzug ab. Diese waren vollkommen überrascht, sich den
Soldaten gegenüber zu sehen. Sie wollten in die andere Richtung fliehen, aber die «toten» Indianer waren lebendig geworden und ließen ihnen keine Möglichkeit dazu. Jetzt ritt der
Captain vor und befahl scharf, die Hände zu heben. Dann
kamen die Indianer heran, entrissen ihnen sämtliche Waffen und trieben sie neben einen Felsblock zusammen. Als Toby herbeikam, schaute Joe ihn an, als sähe er einen Geist. «Hat der «General» denn nicht ...» stammelte er. Aber Toby achtete nicht auf ihn: «Ich verhafte euch im Namen des Gesetzes!» rief er mit klarer Stimme. Der Captain winkte seine Soldaten heran. Diese fesselten die Banditen.
Der «General» hatte im Sinn gehabt, allein zu der Goldmine
zu reiten, während die Bande im Tal der verlorenen Schreie
war. Jetzt galt es aber, erst die Bewacher loszuwerden. Er tat,
als ob er sie mitnehmen wollte. «Wie wärs, wenn wir das Gold
unter uns drei teilten?» fragte er. «Es träfe dann auf jeden
mehr.» Dem Banditen Blacky gefiel der Gedanke. Aber er
dachte noch weiter. Er erschoß kurz entschlossen den andern
Wächter und sagte: «Jetzt trifft es noch mehr auf jeden.»
Aber kaum hatte er ausgeredet, streckte ihn eine Kugel des
«Generals» nieder. Lächelnd blickte dieser auf seine toten
Kumpane: «Auf einen allein trifft es am meisten!» Er nahm
den beiden die Waffen ab und schickte sich an, das Labyrinth
durch den Hintereingang zu verlassen.
Old Surehand und Old Wabble waren am Höhleneingang
angekommen. Sie hatten die Schüsse gehört und errieten
sofort, was sie bedeuteten. Surehand hieß seinen Freund hier
bleiben, um diesen Eingang zu bewachen. Er selbst wollte tun,
was Winnetou ihm geraten hatte. Nach mühsamer Kletterei
erreichte er den geheimen Labyrinthausgang. Lautlos schlich
er sich hinein, setzte über den Fluß und verschwand in der
Höhle. Plötzlich hörte er Schritte und versteckte sich in einer
Felsennische. Atemlos keuchend kam sein Todfeind gerannt.
Er rief ihn an: «General!» Wie vom Donner gerührt blieb
dieser stehen, fuhr herum und zog seinen Revolver. Aber
schon krachte Old Surehands Schuß, und die Waffe fiel
ihm aus der Hand. Jetzt trat Old Surehand hervor und
zwang den «General», die Hände zu heben. Dann sagte
er eisig kalt: «Ich bin John Garden! Du stehst vor deinem
Ende!» Der «General» hatte sich aber schon gefaßt. Er
gab nicht auf. Er versuchte, von Old Surehand um den
Preis der halben Goldmine am Teufelskopf sein Leben einzuhandeln.
In diesem Augenblick bohrte sich ein Revolverlauf in seinen
Rücken. Er gehörte Old Wabble, der auf den Schuß hin
herbeigekommen war. Blitzschnell wirbelte der «General»
herum; riß die Waffe an sich, hielt Old Wabble als lebenden
Schild vor sich fest und feuerte, aber erfolglos. Dann versuchte er, Old Wabble immer vor sich haltend, rückwärts
gehend den Höhlenausgang zu erreichen. Dazu schrie er:
«Garden, ich lege deinen Freund um, wenn du das Gewehr
nicht fallen lässest!» Als Antwort riß Old Surehand das Gewehr hoch und schoß. Die Kugel pfiff dicht an Old Wabbles Ohr vorbei und traf den «General» in den Kopf. Old Surehand
hatte den Tod seines Bruders gerächt.
Die beiden Freunde schleppten den Toten zum unteren Höhleneingang und legten ihn dort auf ein Pferd. Dann ritten
sie Winnetou und dem Captain entgegen.
Am Eingang zum Tal der Skelette, in welchem das Labyrinth lag, trafen die Freunde zusammen. Indianer und Soldaten stellten sich einander gegenüber in langen Reihen auf. Flankiert von den beiden Kriegertruppen saß Winnetou stolz auf seinem tänzelnden Iltschi. Links von ihm hielten Maki-Moteh
und der Captain, rechts Toby und Judith. Old Surehand und Old Wabble ritten auf sie zu, und Toby meldete ihnen würdevoll die Gefangennahme von achtundvierzig Banditen. Old
Surehand gab ihm ein kurzes Wort des Lobes und führte dann
das Pferd mit dem «General» vor Maki-Moteh. «Das ist er»,
sagte er nur. Der Häuptling warf einen kurzen, verächtlichen
Blick auf den toten Banditen. Dann sah er Old Surehand an
und sagte fest: «Der Tod meines Sohnes ist gerächt. Maki-Moteh dankt seinem weißen Bruder.»
Dann hob er die Hand zum indianischen Gruß, ritt die Front seiner Krieger ab und
galoppierte an ihrer Spitze davon. Der letzte Indianer ergriff
die Zügel des Packpferdes mit dem toten «General» und
führte es mit sich den andern nach.
Auch der Captain bedankte sich bei Old Surehand, ritt dann
zu seiner Schwadron und gab das Kommando zum Aufbruch.
Er und seine Soldaten mußten jetzt die Gefangenen nach
Mason City führen.
Mit leisem Lächeln hatte Winnetou den Abschiedsszenen
zugeschaut. Jetzt trat er zu seinem Freund und lud ihn ein,
ihn zu einem ungestörten Zusammensein in seinem Lager
aufzusuchen. Dann wendete er seinen Iltschi, und im Davonreiten rief er noch zurück: «Auf Wiedersehn, mein weißer Bruder!» Dann galoppierte er davon und war bald den Blicken der Zurückgebliebenen entschwunden.
Jetzt erst wagten sich Judith und Toby herbei, um Old Surehand ihre bevorstehende Hochzeit anzukündigen.
Als Hochzeitsgeschenk überreichte er ihnen eine Kopie von Bens
Plan, die er in den Taschen des «Generals» gefunden hatte.
Die jungen Leute waren überglücklich und konnten ihren
Dank kaum in Worte fassen. Old Surehand schickte sie aber
mit wohlwollendem Lächeln weg: «Wenn ihr die Soldaten
noch einholen wollt, müßt ihr jetzt reiten.» Als sie weg waren,
ging er auf Old Wabble zu, der mit traurigem Gesicht dastand.
«Komm, mein Alter, wir reiten zusammen!» rief er ihm zu.
Da erhellte sich Old Wabbles Miene. Er stieß einen Freudenschrei aus: «Yepee!
Wir reiten zusammen!» Seite an Seite verließen die beiden Freunde das Tal der Skelette und ritten
im Glanz der untergehenden Sonne neuen Erlebnissen entgegen.
ORIGINAL
ALLE BILDER AUS DEM ULTRASCOPE-FARBFILM
"OLD SUREHAND (1. TEIL)"
NACH DEM GLEICHNAMIGEN ROMAN VON KARL MAY
COPYRIGHT ©1965
PRODUKTION: RIALTO/ JADRAN FILM
VERLEIH: CONSTANTIN-FILM
FILM-PLAKATE-POSTER
Plakat DIN A1 "Old Surehand (1. Teil)" (EA Constantin 1165)
Erscheinungsjahr | 1965 (EA 14.12.1965) |
Regie | Alfred Vohrer |
Drehbuch | Eberhard Keindorff, Johanns Sibelius, Alfred Vohrer, Fred Denger |
Musik | Martin Böttcher |
Kamera | Karl Löb |
Film | Ultrascope (2.35:1), 35 mm, Eastman Color |
Original-Film (KINO) | 2544 m = 92 min. 59 sec. |
TV/VIDEO/DVD * | 89 min. 16 sec. |
FSK: | Ab 12 Jahren, einige Wochen danach ab 6 Jahren (gekürzte Version) |
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* | Die Differenz zur Kinofilm Laufzeit erklärt sich durch die um ein Bild pro Sekunde höhere Video Bildfrequenz. (KINO 24 Bilder/Sek.) (TV 25 Bilder/Sek.) (PAL-SYSTEM) |
(*) Es gab nur einen »OLD SUREHAND« Karl May Film:
Original-Titel: "OLD SUREHAND 1. TEIL"