DURCHS WILDE KURDISTAN
ORIGINAL FILM STORY UND FILM BILDER (B)
FORTSETZUNG: DURCHS WILDE KURDISTAN (TEIL B) TEIL A
Ingdscha erklärte ihm, sie sei auf dem Weg zu ihrer Großmutter gewesen. Aber jetzt, wo die Räuber Pferde und Maultiere gestohlen hätten, wisse sie nicht, ob sie je dorthin gelangen werde. «Ohne Reittiere kommt man aus dieser Wüste nicht heraus», schloß sie niedergeschlagen. Doch der Lord wußte auch hier einen ihm gemäßen Ausweg. Er befahl: «Archie, Geheimwaffe LF I !» Sofort holte Archie aus der Wundertasche, die den Räubern entgangen war, ein fein zusammengefaltetes Ballontuch heraus, Meter um Meter, bis ein großer Haufen Ballonstoff vor ihm lag. Endlich fand er ein Ventil, setzte einen Blasebalg an und begann das Tuch aufzublasen. Diese Arbeit war sehr zeitraubend. Der Lord wandte sich ab, um mit den Mädchen unterdessen den Tee einzunehmen. Flüsternd erklärte er ihnen: «Sie werden staunen! LF bedeutet Luftfahrzeug!» Dann widmete er sich dem Tee. Als er fertig war, begab er sich zu dem Ballon, der sich jetzt in voller Größe gegen den blauen Himmel abzeichnete, und vertäute ihn gewissenhaft. Dann hängte er allen möglichen Ballast an. Befriedigt befahl er nun: «So, Archie, die Leichtgasfüllung!» Archie holte einen bombenförmigen Gegenstand aus der Zaubertasche, setzte das Ventil an und betätigte den Knopf. Zischend strömte das Gas in den Ballon. Ingdscha und Benda schauten erstaunt zu. Ingdscha fragte zweifelnd: «Und damit soll man in den Himmel steigen können, ohne herunterzufallen?» Großartig erwiderte der Lord: «Seien sie unbesorgt, ein Lindsay fällt nicht.» Jetzt war die Füllung beendet. Archie trat mit einer Wasserflasche heran, und der Lord taufte damit den Ballon auf den Namen seines Dieners. Dann sagte er mit einladender Handbewegung: «Meine Damen, darf ich bitten?» Ingdscha schaute mißtrauisch am Ballon hoch, holte dann tief Atem und stieg in den Tragkorb. Benda folgte, hinter ihr kam der Lord, und zuletzt stieg Archie ein. Jetzt begann der Lord mit einem scharfen Messer die Halteseile zu kappen. Da hielt ihm Archie eine Landkarte unter die Nase. Doch verächtlich sagte der Lord: «Zeigen sie die Karte bitte dem Wind.» Der Ballon begann jetzt heftig zu schwanken, stieg aber, nachdem alle Seile gekappt waren, schnell vom Boden auf. Benda war sehr ängstlich und mußte vom Lord immer wieder getröstet werden. Deshalb bemerkte er nicht, daß unten am Ballonkorb ein Sack hing, der beim Aufstieg durch das Lagerfeuer schleifte. Das Seil, an dem der Sack befestigt war, hatte zu glühen begonnen, und die Zugluft verstärkte noch die Glut. Archie bemerkte alles und sagte sichtlich nervös: «Wir haben noch einen Sack Ballast mit, er ist unten am Korb befestigt.» Jetzt schaute auch der Lord nach.
Erschreckt rief er aus: «Aber das ist ja der Sack mit dem Dynamit! Und das Seil glimmt wie eine Lunte! - Archie, du steigst jetzt hinunter und löschst das Feuer oder kappst das Seil!» Gehorsam stieg Archie an einem Kletterseil nach draußen und arbeitete sich zu dem glimmenden Seil hin. Unter mancherlei nicht vorherzusehenden Schwierigkeiten gelang es ihm endlich, das Seil zu durchschneiden. Der Dynamitsack fiel, und Archie schloß die Augen. Alsbald explodierte das Dynamit mit gewaltigem Krachen, aber der Lord konnte Archie heil wieder in den Korb ziehen. Der Ballon flog ungefährdet dahin. Der Lord drückte den Diener an seine Brust und rief: «Nenne mir einen Wunsch, er soll dir erfüllt werden!» Seufzend antwortete Archie: «Dann bitte ich, jetzt ohnmächtig werden zu dürfen.» Damit fiel er wie ein Stock ohnmächtig zu Boden. Doch die Ohnmacht dauerte nicht lange, und bald war er wieder auf den Beinen, um dem Lord und den Mädchen die Flugreise so angenehm wie möglich zu machen.
Kara ben Nemsi, Halef und Scheik Mohammed waren in
Burusco angekommen. Der Scheik war froh, endlich am
Ziel zu sein. Morgen schon war Vollmond. Sie hatten nur
noch wenig Zeit, seinen Sohn zu retten. Eben ritten die drei,
begleitet von dem getreuen Dojan, auf das Regierungsgebäude zu. Vier Soldaten standen auf Wache am Tor. Als
sie die Reiter kommen sahen, holten sie schnell Verstärkung herbei. Als Kara und seine Begleiter auf wenige Meter herangekommen waren, ging ihnen der Hauptmann drei
Schritte entgegen und schnauzte sie an: «Halt! Niemand
darf ohne Erlaubnis in den Palast des Mütessellin eintreten!» Höflich fragte Kara, der keinen Streit wollte: «Wer erteilt die Erlaubnis?» Der Hauptmann warf sich in die
Brust: «Ich, aber es ist sehr, sehr schwer.» Nun warf ihm
Kara, der ihn längst durchschaut hatte, zwei Geldstücke zu,
und des Hauptmanns Gesicht erhellte sich ein wenig. Er gab
aber immer noch nicht nach. Da riß Halef die Geduld, und
er begann dem Hauptmann Schimpfnamen zuzurufen. Das
Gesicht des Hauptmannes lief rot an, und er schrie: «Noch
ein Wort, und ich lasse euch festnehmen!» Jetzt wurde es
Kara zu bunt. «Komm, Halef», gebot er ruhig und wollte an
den Soldaten vorbei.
Aber heldenmütig warf sich der Hauptmann vor Rih, und
seine Stimme überschlug sich fast, als er schrie: «Halt! Verteidigt den Palast!» Kara war nicht beeindruckt. Seinem Schenkeldruck gehorchend stieg Rih vorne in die Höhe und
drehte sich auf den Hinterbeinen im Kreis. Halef und Mohammed ließen ihre Pferde das gleiche tun. Die Soldaten mußten zurückweichen, einige stürzten dabei. Dojan sprang
den Hauptmann an, so daß dieser gleich der Länge nach
hinfiel. Sobald er wieder auf den Füßen war, suchte er eiligst
das Weite. Sogleich folgten sämtliche Soldaten seinem Beispiel. Kara, Halef und der Scheik konnten jetzt in den Hof des Gebäudes reiten. Dort stiegen sie ab und gingen zu Fuß
weiter. Sie fanden den Mütessellin in seinem Amtssaal auf
einem weichen Teppich sitzend. Erzürnt blickte er ihnen
entgegen und wollte eben die Wache herbeirufen, als der
Hauptmann mit den Soldaten erschien. Vor Dojans gefletschten Zähnen und den gehobenen Waffen der drei Männer
blieben sie jedoch furchtsam stehen. Verächtlich sagte Kara:
«Bemühe nicht deine heldenhaften Soldaten.» Der Mütessellin zischte böse:
«Ich verurteile dich zu hundert Stockschlägen auf die Fußsohlen! Los, Leute!» Dabei zitterten
jedoch seine Hände vor Angst. Halef und der Scheik hoben
nur leicht die Waffen. Über Karas Gesicht huschte ein spöttisches Lächeln. Kein Soldat wagte es, sich zu nähern. Da sank der Mütessellin auf seinen Teppich zurück und stöhnte:
«Das ist Meuterei!» Jetzt griff Kara in die Tasche und reichte
dem Mütessellin den Ferman des Padischahs. Dann setzte
er sich ihm gegenüber auf den Teppich. Als der Mütessellin
den Ferman gelesen hatte, war er wie ausgewechselt. Überschwenglich freundlich rief er aus: «Oh, Effendi! Allah segne den Padischah und dich! Was befiehlst du, Effendi?» Und
zu den Soldaten: «Raus, verschwindet, ihr Söhne des Unverstandes! - Hauptmann Selin Aga, du bleibst!»
Nun begann Kara den Mütessellin durch Schmeicheleien für
sich einzunehmen: «Ich habe viel von dir gehört. Ich weiß,
du bist weise, klug, gerecht und großzügig.» Das Strahlen
auf dem Gesicht des Mütessellin erlosch beim letzten
Wort. Mißtrauisch fragte er: «Brauchst du Geld?» «Nein»,
antwortete Kara, «nur ein Quartier für einige Tage. Deine
Nähe gibt uns Schutz.» Nun ordnete der Mütessellin an,
Kara und seine Begleiter sollten bei Hauptmann Selin Aga
wohnen, bezahlt aber werde bei ihm. Das verdroß Selin Aga
sichtlich sehr. Doch Kara nickte befriedigt. Er wandte sich
wieder an den Mütessellin mit der Frage, warum er so viele
Soldaten hier habe. Er bekam zur Antwort, das berühmte
Gefängnis von Burusco beherberge gefährliche Verbrecher.
Unter ihnen sei ein Araber, der den Padischah getötet hätte,
wenn er nicht vom Machredsch von Mossul daran gehindert
worden wäre. «Der Machredsch ist zwar jetzt abgesetzt»,
schloß er. «Aber der Araber hat vier andere Männer getötet. Morgen früh wird er hingerichtet.» Jetzt wußte Kara genug. Er hatte zudem gesehen, daß der Mütessellin eine
Weinflasche hinter sich versteckt hatte, nach der er immer
wieder verstohlen fühlte. Um ihn vollends einzunehmen,
fragte Kara höflich: «Darf ich dir ein paar Flaschen deiner
Medizin zur Linderung deines Leidens schicken?» Begeistert erwiderte der Mütessellin: «Effendi, du bist weise! Schicke nur recht viele, das Leiden ist groß. - Kann ich dir
einen Dienst erweisen?» «Nein», antwortete Kara. «Das
heißt, es wäre eine Ehre für mich, dein berühmtes Gefängnis zu sehen.» Eifrig ging der Mütessellin darauf ein: «Du sollst es sehen.» Kara fragte, ob das denn gehe, wenn morgen eine Hinrichtung sei. Da verriet ihm der Mütessellin, eigentlich hätte der Araber erst am Tage nach Vollmond
hingerichtet werden sollen. Da er aber zwei Fluchtversuche unternommen habe, sei die Hinrichtung vorverschoben worden. Er weiß noch nichts davon?» fügte er zuletzt noch bei. Scheik Mohammeds Augen leuchteten bei diesen Worten gefährlich auf.
Hauptmann Selin Aga war ein Mensch, der aus Gewinnsucht
zwei Herren diente. Als er vom Mütessellin den Befehl zur
Beherbergung Kara ben Nemsis erhalten hatte, entfernte er
sich aus dem Regierungsgebäude. Vorsichtig um sich blikkend und sich in den Schatten der Mauern haltend, schlich er sich zu einer großen, unheimlich am Ende einer Gasse
liegenden Ruine. Durch eine torartige Üffnung betrat er
nach einem letzten Blick in die Gasse zurück den Hofplatz
im Innern der Ruine. Hier war der Boden mit Unrat bedeckt,
Ratten huschten umher. Vor einem gähnenden Loch im Boden stand ein Mann mit einem Gewehr. Er stieg mit Selin
Aga durch das Loch in ein Kellergewölbe hinunter. Hier
brannten einige Fackeln, an der einen Wand standen ein
paar Pferde. In der Nähe der Fackeln saß auf einer Kiste
der Machredsch, um ihn herum lagerten Durek und seine
Räuber. Selin Aga verbeugte sich vor dem Machredsch.
Dann erzählte er ihm, was sich heute nachmittag im Palast
zugetragen hatte. Der Machredsch warf ihm fünfzig Piaster
zu und sagte grob: «Die sind für dein Schweigen. Wenn du
die Männer, die bei dir wohnen, hierhergelockt hast, bekommst du noch einmal soviel.» Eifrig versprach Selin Aga dem Machredsch: «Das geht. Wenn Kara ben Nemsi das Gefängnis
besichtigt, schicke ich dir die beiden andern und danach
auch ihn.» Hier machte er eine Pause. Darauf fuhr er, verlegen zu Boden blickend, fort: «Da ist noch etwas.» Wieder eine Pause. Dann: «Ali Bei von den Jecidis war beim Padischah. Dieser hat jetzt fünftausend Piaster auf deinen Kopf ausgesetzt . . .» Der Machredsch verstand. Langsam, drohend sagte er: «Und die möchtest du dir jetzt verdienen, wie?» Frech antwortete Selin Aga: «Leg noch hundert Piaster dazu, und du wirst mit mir zufrieden sein.» Bei diesen Worten hob der Machredsch die Hand zum Schlag gegen
den gemeinen Verräter. Doch ließ er sie wieder sinken, weil
er genau wußte, daß er ihm ausgeliefert war und im Augenblick nichts gegen ihn tun konnte. «Also gut», gab er nach. «Aber wenn du redest, wird auf deinem Gefängnis die
schwarze Fahne flattern.»
Noch am späten Abend zeigte der Mütessellin Kara ben
Nemsi das Gefängnis. Die versprochene «Medizin hatte er
schon erhalten und war deshalb sehr freundlich gestimmt.
Er führte seinen Gast durch das ganze schmutzige, verwahrloste Gefängnis, an vielen schwer vergitterten Zellen vorüber. Kara merkte sich genau die Lage der Gänge, Türen
und Zellen. Vor einer der letzten Zellen blieb der Mütessellin
stehen und sagte verächtlich: «Siehst du, hier liegt diese
Hyäne der Wüste.» Und heftig zu dem gefesselten Gefangenen: «Steh auf, du dreckiger Beduine. Morgen wirst du
gehängt, armselige Wüstenratte!» Kara hatte sofort Ahmed
el Corda erkannt. Auch in den Augen des Beduinen glomm
ein Funke des Erkennens auf, als er die Besucher erblickte.
Aber mit einem fast unmerklichen Blinzeln gebot ihm Kara
Schweigen. Dann fiel ein winziger, zusammengerollter Zettel auf Ahmeds Strohlager.
Doch der schien ihn nicht zu sehen, und auch der Mütessellin hatte nichts bemerkt. «Ja,
ganz Burusco freut sich auf die Hinrichtung», sagte er stolz
und zog Kara mit sich fort.
Während Kara ben Nemsi das Gefängnis besichtigte, hielten sich Halef und der Scheik im Hause Selin Agas auf.
Bald erschien ein Araberjunge, der sagte, er habe eine
wichtige Botschaft auszurichten. Der Effendi schicke ihn,
Halef Omar und den Scheik zu ihm zu führen, es sei wichtig.
Geschickt verstand der Junge, das Mißtrauen Halefs und
des Scheiks zu zerstreuen. Die beiden holten ihre Gewehre
und folgten dem Jungen die Straße hinauf zur Ruine. Der
Junge betrat mit ihnen den Hof der Ruine und begann hinter
ihnen in das Gewölbe hinabzusteigen. Aber auf halbem
Wege kehrte er lautlos um. Halef und der Scheik kamen
allein in dem scheinbar verlassenen Gewölbe an, in dessen
Mitte nur ein Feuer brannte. Erstaunt sahen sie sich um. Da
ertönte unbarmherzig und kalt die Stimme des Machredschs:
«Hände hoch! Waffen weg! Ihr seid gefangen.» Langsam die
Hände hebend murmelte Halef: «Beim Barte des Propheten,
wir sind Kamele!» Nach einem nutzlosen Ausbruchsversuch wurden Halef und der Scheik entwaffnet und gefesselt.
Der Araberjunge war zum Hause Selin Agas zurückgekehrt
und wartete im Schatten einer Mauer auf Kara ben Nemsi.
Als dieser herankam, rief er ihm zu: «Effendi: Ich soll dir
etwas ausrichten. Deine Begleiter haben etwas Wichtiges
entdeckt. Sie schickten mich, um dich zu ihnen zu führen.»
Kara dachte, die beiden befänden sich wohl in einer Klemme
und sagte zu dem Jungen: «So? Warte hier auf mich.» Rasch
trat er in Selin Agas Haus. Dort sah er, daß Halef und der
Scheik die Waffen mitgenommen hatten. Er nahm Dojan mit
sich, ging wieder hinaus und befahl dem Jungen: «So, jetzt
führe mich hin.» Als sie gegangen waren, trat Selin Aga
grinsend aus dem Mauerschatten. Die hundert Piaster waren
ihm sicher.
Der Junge führte Kara zur Ruine und trat mit ihm in den
Innenhof. Aus der Bodenöffnung drang plötzlich spärliches
Licht. Dojan lauschte mit gespitzten Ohren. Irgend etwas
gefiel Kara nicht. Doch er schob den Jungen weiter, auf die
Öffnung zu: «Führe mich.» Nach wenigen Schritten blieb der
Junge zitternd stehen, Dojan gab laut. Der Junge flüsterte:
«Dort unten sind sie.» Kara fragte scharf: «Wer?» «Die
Männer, die dich fangen . . .» verriet sich der Junge und
hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Dann rannte
er davon. Kara wußte nun mit Sicherheit, daß da etwas nicht
stimmte. Mit dem schußbereiten Henrystutzen in der Hand
stieg er lautlos in die Bodenöffnung ein. Dojan folgte ihm.
Schritt für Schritt näherte er sich dem Grund. Das Feuer
brannte immer noch, aber niemand war zu sehen. Aus dem
Hintergrund war das Stampfen von Pferden zu hören. Jetzt
waren Kara und Dojan unten. Scharf zerriß Karas Stimme
die Stille: «Hier steht Kara ben Nemsi. Wer immer ihr seid,
kommt ans Licht!» Darauf vernahm er ein paar unterdrückte
Flüche des Machredsch aus dem Dunkel, dann war es wieder still. Kara rief von neuem: «Kommt heraus, oder ich
feure ein paar Dutzend Kugeln hier hinein!» Jetzt antwortete der Machredsch: «Deine Freunde sind in meiner Hand. Lege die Waffen nieder, sonst sterben sie.» Und schon rief Halef
kläglich: «Es stimmt, wir sind in die Falle gegangen.» Darauf
der Machredsch: «Du kannst sie retten. Lege deine Waffen
weg und komm ans Feuer.» Kara entgegnete nach kurzem
Besinnen: «Einverstanden, aber meine Freunde müssen ungefesselt gleichzeitig mit mir ans Feuer kommen.» Der
Machredsch war erstaunt, daß Kara so schnell nachgab.
«Einverstanden!» rief er, «aber mach keine Dummheiten.
Fünf Gewehre sind auf dich gerichtet!» Bald darauf tauchten Halef und der Scheik mit dem Machredsch in der Mitte aus dem Dunkel auf. Als ihm der Machredsch gegenüber
stand, sagte Kara leise: «Faß, Dojan!» Blitzschnell sprang
der Hund den Gegner an und lenkte damit die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Diesen Moment nützte Kara aus. Seine Faust krachte gegen das Kinn des Machredsch, so daß dieser hintenüber fiel. Kara, der Scheik und Halef sprangen ins Dunkel zurück. Jetzt richtete der Hund ein heilloses Durcheinander an in dem Gewölbe. Er fuhr wie der Blitz zwischen den Banditen umher und teilte Bisse aus. Dann sprang er
den Pferden in die Beine, so daß sie erschreckt scheuten.
Kreuz und quer jagten die Tiere durch das Gewölbe und
suchten den Ausgang.
Mitten im Getümmel standen sich der Machredsch und Kara
wieder gegenüber. Wieder traf Karas eisenharte Faust das
Kinn des Gegners. Doch dieser fiel diesmal nicht, er zückte
ein Messer und fuhr damit auf seinen Feind los. Kara warf
sich zur Seite, und gleichzeitig krachte wieder einer seiner
Fausthiebe. Hart neben ihm schlug der Machredsch mit dem
Messer zu Boden. Sofort war Kara auf ihm. Gleichzeitig
zielte einer der Banditen auf Dojan. Doch der sprang ihn an;
und der Schuß traf ein Pferd. Dieses wieherte auf und galoppierte durch den Ausgang des Gewölbes hinaus. Die
übrigen Pferde folgten ihm sogleich. Mit letzter Kraft machte
sich der Machredsch frei und schwang sich auf eins der
letzten fliehenden Pferde. Er wollte Kara niederreiten, doch
dieser rollte sich schnell zur Seite, und der Machredsch
jagte als letzter hinaus. Der Scheik und Halef wollten ihm
folgen, aber Kara rief sie zurück: «Mohammed, dein Sohn ist
jetzt wichtiger, ich habe ihn gesehen.» Dabei streichelte er
dankbar Dojans Fell. Dann stiegen die drei wieder in den
Ruinenhof hinauf und gingen zu Selin Agas Haus zurück.
Am nächsten Morgen begab sich Kara ben Nemsi rechtzeitig zum Mütessellin, um mit ihm der Hinrichtung beizuwohnen.
Es herrschte ein großes Gedränge auf dem Hauptplatz
des Ortes, alle Einwohner von Burusco schienen zur Hinrichtung gekommen zu sein. Soldaten hatten den Platz um
den Galgen abgesperrt. Nun kamen Kara und der Mütessellin, begleitet von Dojan, die Hauptstraße herauf und betraten
den Platz. Auf einem eigens für sie hingebreiteten Teppich
mit vielen Kissen nahmen sie Platz. Der Mütessellin fragte
Kara nach seinen beiden Begleitern. Kara antwortete ihm,
die beiden seien Araber, und es schicke sich nicht für sie,
der Hinrichtung eines der Ihren mit anzusehen. Während er
sprach, schaute er sich um. In der Nähe des Galgens bemerkte er eine kleine, rundliche Frau.
Sie war halb verschleiert, aber er erkannte trotzdem Halef. Auf der anderen
Seite des Galgens entdeckte er in der Menge den Scheik
Mohammed Emin in Kurdenkleidern. Trommeln begannen
jetzt die Hinrichtung einzuteiten. Ein Trupp Soldaten, angeführt von Selin Aga, führte den gefesselten Ahmed auf den
Platz. Er ging mit hocherhobenem Kopf. Seine Augen suchten die Befreier. Jetzt sah er seinen Vater, dann auch Kara
ben Nemsi, der ihm zulächelte. Beinahe wäre er vor Verwunderung darüber, daß Kara neben dem Mütessellin saß,
die Treppe zum Galgen hinaufgestolpert. Jetzt stand er
unter dem Galgen. Die Schlinge baumelte über ihm. Er
schaute Kara fest in die Augen. Dieser hielt dem Blick ruhig
stand.
Die Trommeln schwiegen. Der Mütessellin erhob sich und
sprach die Formel zum Beginn der Hinrichtung. Die Zuschauer schrien begeistert. Der Henker nahm die Schlinge,
um sie Ahmed um den Hals zu legen. Da ließ Kara Dojan
los. Dieser flog förmlich zum Galgen, sprang den Henker an
und warf ihn das Podest hinunter. Die Zuschauer waren verblüfft. Da fing Halef plötzlich laut zu schreien an und lenkte so die Aufmerksamkeit auf sich. Die Menge fing an, sich zu
schieben und zu stoßen und sich gegenseitig zu beschimpfen. Jetzt sprang Scheik Mohammed aufs Galgenpodest hinauf,
aber Selin Aga stellte sich ihm entgegen. Doch der
gefesselte Ahmed gab dem Hauptmann einen so gewaltigen
Fußtritt, daß er dem Mütessellin buchstäblich vor die Füße
flog, und schon hatte der Scheik seinem Sohn die Fesseln durchgeschnitten.
Halef hatte nicht aufgehört zu schreien und schlug jetzt
nach Kräften auf die Zuschauer ein. Das war der Auftakt zu
einer allgemeinen Prügelei. Das Militär rückte vor auf den
Galgen zu, wo der Scheik und Ahmed immer noch standen.
Da sprang Kara auf und war mit drei Schritten bei ihnen.
Der Mütessellin zeterte: «Gefangennehmen! Gefangennehmen! Niederschießen!» Aber niemand gehorchte.
Ein wüstes Geschrei ringsum. Die drei Männer auf dem Podest
hielten ihre Waffen schußbereit, Kara hatte Ahmed eine Pistole gegeben. Das Volk drängte die Soldaten zum Podest: Kara und der Scheik drehten die Gewehre um. Umsichprügelnd und stoßend hatte jetzt auch Halef das Podest erreicht. Die Schlägerei war im vollen Gange. Da ertönte gellend Karas Stimme: «Riih!» Dann «Dojan!» Der Hund rannte los, biß sich eine Gasse durch das Gewühl. Ein Pferd wieherte laut. Rih und hinter ihm Halefs Pferd galoppierten heran und kämpften sich durch die Menge, die vor ihnen zurückzuweichen begann. Die vier Männer auf dem Podest verteidigten sich immer noch erfolgreich. Jetzt waren die Pferde heran. Dojan riß einen Soldaten, der eben auf Ahmed anlegte, um. Über alles hinweg schnellte sich Kara direkt auf Rihs Rücken, und Ahmed sprang genau hinter ihn. Der Scheik und Halef sprangen blitzschnell auf Halefs Pferd. Rücksichtslos bahnten sich die Pferde einen Weg durch die sich immer noch prügelnde Menge. Dojan half wacker mit. Das Volk war überrascht, wich teilweise zurück und ließ sie ungehindert passieren. Der andere Teil schlug sich weiter, egal mit wem. Die Soldaten waren machtlos in dem Gedränge. Jetzt hatten die Pferde den Rand des Platzes erreicht und galoppierten die fast leere Straße hinauf. Das Volk auf dem Platz beachtete die Fliehenden nicht. Nur einer, ein Bandit des Machredsch, folgte ihnen zu Fuß und ließ sie nicht aus den Augen.
Nach dem Kampf mit Kara ben Nemsi hatten der Machredsch und seine Leute die Ruine endgültig verlassen. Ohne ihre Pferde zu schonen, waren sie in die Berge hinter Burusco geritten. Hier lagerten sie unter einer Gruppe kümmerlicher Bäume. Sie warteten auf den Mann, den sie mit dem Auftrag in Burusco zurückgelassen hatten, Kara ben Nemsi zu verraten, wohin sie geflüchtet seien. Kara würde ihnen dann folgen, und es wäre für sie ein leichtes, ihn in einen Hinterhalt zu locken. Dieser Mann kam jetzt eben herangeritten und erzählte dem Machredsch, Kara habe den Araber, der gehängt werden sollte, direkt vom Galgen heruntergeholt. Ganz Burusco sei hinter ihm her; und er müsse unfehlbar hier vorüberkommen. Der Machredsch machte darauf hin sofort seinen Plan. Er wollte mit seinen Leuten nach der Chaldäerstadt reiten und Kara dort überfallen. Durek wurde zurückgeschickt nach Burusco. Er hatte Kara ben Nemsi dauernd zu beobachten und den Machredsch sofort zu verständigen, wenn er einen andern Weg einschlagen sollte. Der Machredsch selbst ritt mit seinen Leuten weiter auf dem Weg nach der Chaldäerstadt. Plötzlich hielten sie alle wie auf Kommando an und starrten erschreckt an den Himmel hinauf. Über die nächstgelegene Hügelkuppe hob sich Lord Lindsays Ballon, näherte sich lautlos und schwebte, immer tiefer sinkend, auf die Reiter zu. Diese starrten ihm entsetzt entgegen. Sie hielten ihn für ein Wunder Allahs und rissen ihre Pferde herum zur kopflosen Flucht. Aber es war zu spät. Wenige Meter über ihre geduckten Köpfe hinweg rauschte der Ballon und verfing sich unter Krachen und Bersten in den Ästen einiger verdorrter Bäume.
Blitzschnell sprangen die Reiter von den Pferden und suchten hinter
einem Felsen Deckung. Entsetzt, sprachlos vor Angst, starrten sie auf den Ballon. Nur wenig über der Erde hing der
Ballonkorb. Archie befestigte die Strickleiter am Rand, und
der Lord schickte sich an, den Korb zu verlassen. Hinter ihm
tauchten jetzt auch Ingdscha und Benda auf.
Der Machredsch begriff rasch, daß der Ballon kein Wunder
Allahs sein konnte, da ihm ganz normale Menschen entstiegen. An ihrer Kleidung erkannte er zudem auch den Lord
und Archie, die er seit dem Kampf im Tal der Jecidis bitter
haßte. Er wußte auch, daß der Lord reich war. Mit einer
knappen Handbewegung wies er seinen Leuten ihre Plätze
an. Immer in Deckung bleibend schlichen sie sich dann an
den Ballon heran. Eben waren Ingdscha und Benda ausgestiegen. Da ertönte hinter ihnen der scharfe Befehl: «Hände
hoch und keine Bewegung!» Der Lord erkannte sofort die
Stimme des Machredschs und sagte, erfreut über das neue
Abenteuer: «Man trifft doch überall Bekannte!» Aber der
Machredsch ließ sich auf nichts ein. Er befahl: «Bindet sie!»
Dann schaute er zu, wie seine Leute den Befehl ausführten.
Als die vier Gefangenen gefesselt waren, trat der Machredsch zum Lord, um über das Lösegeld zu verhandeln. Er
forderte frech die für ihn fast unvorstellbar hohe Summe von
fünfzigtausend Piastern. Doch zu seinem höchsten Erstaunen
antwortete der Lord beleidigt: «Für was halten sie mich?
Ich bin mehr wert! Unter hunderttausend Piaster mache ich
den Handel nicht!» «Das ist mir auch recht», antwortete der
Machredsch fast lachend. «Wann wollen sie zahlen?» «Gar
nie», entgegnete trocken der Lord, «sonst lassen Sie mich
am Ende frei, und aus dem Abenteuer wird nichts.» Verärgert über die Gemütsruhe des Lords zischte der
Machredsch: «So werdet ihr sterben» und wandte sich dem gestrandeten Ballon zu. Dann befahl er, die Gefangenen an
die Steigbügel der Pferde zu binden und auf dem Weiterritt
nebenher laufen zu lassen.
Kara ben Nemsi, Halef, Scheik Mohammed und Ahmed befanden sich wirklich auf dem Weg nach der Chaldäerstadt.
Nachdenklich und schweigsam ritten sie dahin. Dojan war
den Reitern immer einige Schritte voraus. Der Scheik brach
als erster die Stille: «In vier Tagen sind wir bei den Haddedins. Was wirst du dann tun, Effendi?» Kara antwortete leise und fast ein wenig wehmütig: «Ich werde in meine Heimat
zurückkehren und Bücher schreiben.» Das konnte der Scheik
nicht verstehen: Ein Krieger wie Kara ben Nemsi sollte auf
Papier schreiben? «Ich weiß etwas Besseres!» rief er. «Ich
gebe dir ein Zelt, dann kannst du ein Scheik der Haddedins
werden.» Kara wollte ihn nicht beleidigen. Deshalb fragte er
ihn: «Was meinst du, könnte Rih in meiner Heimat im Norden glücklich werden?» Ohne sich zu besinnen antwortete
der Scheik: «Niemals! Rih gehört hierher!» «Siehst du»,
sagte nun Kara, «es gibt für jeden von uns nur eine Heimat . . .» Alle verstanden, was Kara damit meinte.
Sie wußten, daß er sie verlassen würde, um heimzukehren in seine Heimat.
Dieses Gespräch nahm die Aufmerksamkeit der vier Reiter
so stark in Anspruch, daß sie in nur geringer Entfernung an
dem gestrandeten Ballon vorüberritten, ohne ihn zu bemerken.
Rücksichtslos trieb der Machredsch die Pferde an, so daß
die vier Gefangenen Mühe hatten, Schritt zu halten. Besonders den Mädchen fiel es schwer. Ingdscha ertrug die Qual
mit zusammengepreßten Lippen, stumm. Aber Benda jammerte immer wieder kläglich vor sich hin. Als sie auf einer
Paßhöhe angelangt waren, wurden sie von einem einzelnen
Reiter eingeholt. Es war Durek, der dem Machredsch sofort
Bericht erstattete: «Kara ben Nemsi und die Araber sind
jetzt eine halbe Stunde hinter uns. Hier wäre die Gegend
günstig.» «Gut», nickte der Machredsch, «du brauchst nicht
mehr zurück.» An einer Stelle, von der aus beide Seiten des
Passes gut zu überblicken waren, ließ der Machredsch die
Gefangenen fesseln und knebeln und in einer Höhle hinter
den Felsen verstecken. Auch die Pferde wurden zu gut gedeckten Stellen gebracht.
Auf einem Felsen stand der Machredsch und beobachtete den Weg, den die Erwarteten kommen mußten.
Als er sich einmal nach der andern Seite umsah, entfuhr ihm beim Anblick der drei heranreitenden
Männer der Ausruf: «Verflucht! Das sind Chaldäer!» Diese
christlichen Kurden kamen ihm äußerst ungelegen, sie
konnten ihm seine Pläne durchkreuzen. Aber er faßte
schnell einen Entschluß. Er rief seinen Männern zu: «Wir
nehmen zuerst, diese, jeder von euch einen: Es wird erst
auf Befehl geschossen!» Ingdscha, die eben als letzte in
die Höhle geschleppt wurde, konnte diese Worte noch
hören: Schnell suchten sich jetzt die Wegelagerer günstige
Plätze aus für den Oberfall. Auch der Machredsch ging in
Deckung.
Ahnungslos ritten die Chaldäer heran. Die Banditen legten
ihre Gewehre auf sie an und warteten auf den Befehl zum
Feuern. Da senkte der Machredsch seine rechte Hand, und
die Schüsse krachten wie ein einziger. Ohne einen Laut
stürzten die Opfer aus den Sätteln. Die Männer stiegen
schnell zu den Toten hinunter. Der Machredsch befahl:
«Rasch die Pferde weg, dann wieder in Deckung! Die Leichen bleiben liegen! Nemsi muß bald kommen, los! Schnell!»
Kara ben Nemsi und seine Begleiter kamen jetzt den steilen
Weg zur Paßhöhe herauf geritten. Sie hatten den Knall der
Gewehrsalve schwach vernommen, waren sich aber über
dessen Ursache nicht im Klaren. Unmittelbar vor der Paßhöhe schlug Dojan plötzlich an. Sofort standen die Pferde
still. Die Männer lauschten und beobachteten wachsam die
Umgebung, nahmen aber die auf sie gerichteten Gewehre
der Wegelagerer nicht wahr. Ahmed richtete sich im Sattel
auf. Bestürzt wies er nach vorn und rief: «Effendi . . .. Nun
sahen auch die anderen die toten Chaldäer. Halef trieb
schon sein Pferd an, um zu ihnen zu gelangen, aber Kara
rief ihn streng und scharf zurück. Gleichzeitig zog er seinen
Henrystutzen, und auch seine Begleiter ergriffen die Waffen.
Dann setzten sie langsam, Schritt für Schritt, mit äußerster
Wachsamkeit, ihren Weg fort. Dojan ging voran. Wenige
Schritte vor den Toten blieb er stehen und streckte witternd
die Nase in die Luft. Rih wurde plötzlich unruhig, hob den
Kopf und wieherte leise. Sofort bekam er Antwort von einem
der Chaldäerpferde. Da ließ sich Kara auch schon aus dem
Sattel fallen und schrie: «In Deckung, rasch!» Blitzschnell
glitten auch Halef und Ahmed zu Boden. Der Scheik war
den Bruchteil einer Sekunde zu langsam. Die Schüsse der
Banditen krachten, und einer traf den Scheik, der nach vorn
fiel und von dem scheuenden Pferd abgeworfen wurde.
Weitere Schüsse folgten, Kara und nach ihm auch Halef und
Ahmed schossen zurück, aber ohne sichtbaren Erfolg. Dojan
kletterte allein in die Felsen hinauf. Die Wegelagerer gingen
zum Angriff über: Von hoch oben schoß einer, Ahmed schoß
zurück, traf ihn aber nicht. Da tauchte Dojan hinter dem
Mann auf, sprang ihn an und warf sich blitzschnell wieder
zurück. Der Mann verlor das Gleichgewicht und stürzte mit
einem lauten Schrei die Felswand hinunter. Alle wurden
dadurch einen Moment abgelenkt. Nur der Machredsch
stemmte sich weiter mit aller Kraft gegen einen Felsblock,
um ihn auf Kara hinunterzustürzen. Langsam begann der
Block zu rollen, direkt über Karas Kopf. Im letzten Moment
bemerkte ihn Halef und schrie: «Sihdi, paß auf!» Der Stein
fiel. Kara blickte hinauf, sah ihn und warf sich gleichzeitig
auf die Seite. Aber er war nicht schnell genug. Der Felsblock
streifte ihn, und er brach bewußtlos zusammen. Halef und
Ahmed standen wie gelähmt. Die Banditen konnten sie
mühelos überwältigen. Der Machredsch befahl: «Fesselt sie
und legt sie nebeneinander, auch den Nemsi, er lebt noch.
Wenn er zu sich kommt, erschießen wir sie. Holt auch die
andern. Der Lord soll nur zusehen, dann wird er gern bezahlen.»
Um seinen eigenen Toten kümmerte sich der Machredsch nicht einen Augenblick.
Plötzlich ließ eine klare Männerstimme den Machredsch und
seine Leute herumfahren. Hinter ihnen stand Kadir Bei, das
Oberhaupt der Chaldäer, mit zehn Kriegern. Unbemerkt
waren sie herangeritten. «Machredsch von Mossul, Gott
schütze dich», begrüßte Kadir Bei den Räuberhauptmann,
von dessen Absetzung er noch nichts wußte. Dieser erwiderte den Gruß fast allzu freundlich: «Oh, Kadir Bei?
Allah sei mit dir! Du kommst zur rechten Zeit. Diese Männer
hier haben drei deiner Leute getötet. Wir haben sie eben
gefangen. Sie sollen der Gerechtigkeit nicht entgehen.»
Wortlos wandte sich Kadir Bei den Toten zu. Wortlos ging
er dann zu den Gefangenen und blickte auf sie nieder. Dann
sagte er erstaunt, auf Kara hinweisend: «Diesen Mann kenne
ich, ich sah ihn als Ehrengast des Padischahs.» Geschickt
parierte der Machredsch, das Mißtrauen Kadir Beis im Keime
erstickend: «So hat er auch das Vertrauen des Padischahs
mißbraucht! Laß uns sie erschießen!» Doch Kadir Bei war
nicht einverstanden: «Du stehst auf dem Gebiet der Chaldäer. Wir haben unsere eigenen Gesetze, denen auch du
dich fügen mußt. Wir werden Gericht halten.» Nun bestand
der Machredsch nicht mehr auf seinem Willen. Schmeichlerisch sagte er: Ich habe noch mehr Gefangene gemacht,
die ich deiner Gerechtigkeit übergeben will. Doch dafür bitte
ich dich, den blonden Mörder hier mir zu überlassen, damit
ich ihn vor den Padischah bringen kann.» Kadir Bei antwortete in einem Ton, der dem Machredsch nicht ganz gefiel:
«Deine Gefangenen gehören dir. Ich werde nichts tun, was
dem Willen des Padischahs widerspricht.»
Da Kadir Bei nur an den angeblichen Mördern seiner Leute
interessiert war und von den vier anderen Gefangenen nichts
wissen wollte, ließ der Machredsch diese unter der Bewachung zweier Wächter in den Felsenhöhlen zurück. Kara
ben Nemsi, Halef, Ahmed und die fünf Toten wurden, auf
Pferde gebunden und ins Tal der Chaldäer geführt.
Die Landschaft in diesem Tale war kahl und schroff. Unzählige Felskegel reckten sich bis vierzig Meter hoch in die
hitzeflimmernde Luft. Alle schienen ausgehöhlt, zeigten Fenster, Luken und Türen, aber nur in solcher Höhe,
daß niemand wußte, wie sie zu erreichen waren. Unbarmherzig
brannte die Sonne auf diese graue Steinwelt hinunter. Alles
schien vor Hitze zu glühen.
Auf einem Platz inmitten der niedrigen, flachen Steinhäuser
der Chaldäer meinten die Gefangenen vor Hitze verschmachten zu müssen. Sie hingen mehr als sie standen an
zwei Meter hohen, aus Stein gehauenen Pfählen. Schutzlos
waren sie der sengenden Sonne ausgesetzt. Männer, Kinder,
Pferde, Kamele umgaben sie in buntem Durcheinander. Manche tranken schadenfreudig Wasser vor ihnen, andere
bewarfen sie mit glühheißem Sand und Steinen. Am schlimmsten stand es mit Kara ben Nemsi: Immer noch ohnmächtig
hing er in den Fesseln; der Stein hatte ihn schwer getroffen.
Sein Gesicht war blutverkrustet. Neben ihm saß hechelnd
der treue Dojan. Er war der einzige, der bemerkte, daß
Karas Lider zu flattern begannen, daß sich seine Augen für
einen Moment öffneten. Doch alles, was Kara in diesem
Moment sah, war verschwommen. Als er die Augen aber
einige Zeit später vollends aufschlug, wurde das Bild langsam scharf. Hinter den Gefangenen, durch ein Strohdach
von der Sonne geschützt, lagen die Toten in christlicher
Weise aufgebahrt.
Kadir Bei und der Machredsch kamen die Straße herunter
auf den Gerichtsplatz zu. Kadir Bei versprach:. «Sie werden
sterben, wenn sie schuldig sind, das Gericht wird entscheiden.» Der Machredsch erwiderte ungeduldig:
«Wozu Gericht? Sind die Toten nicht Beweis genug? Solche Verbrecher erschlägt man.»
Doch Kadir Bei ließ sich nicht umstimmen. «Nicht in diesem Land», sagte er, «hier hat auch
ein Mörder das Recht, sich zu verteidigen.»
Als die beiden auf dem Richtplatz ankamen, waren schon
kostbare Teppiche vor den Gefangenen ausgebreitet worden. Sechs alte Chaldäer sollten hier unter dem Vorsitz
Kadir Beis über Recht und Unrecht entscheiden. Sie ließen
sich auf den Teppichen nieder. Der Machredsch und seine
Leute setzten sich in voller Bewaffnung etwas abseits. Als
alles bereit war, sagte Kadir Bei feierlich: «Die Anklage
möge erhoben werden.» Der Machredsch begann: «Ich klage
an Ahmed el Corda. Er ist rechtsmäßig zum Tode verurteilt,
weil er vier meiner Leute getötet hat.» «Und er hat meinen
Vater erschossen!» schrie Ahmed auf. Doch Kadir Bei bedeutete ihm, zu schweigen. Der Machredsch fuhr fort: «Kara
ben Nemsi und Hadschi Halef Omar haben ihn vom Galgen
befreit und tragen außerdem Schuld am Tod einiger Menschen, die im Gedränge getötet wurden.» Empört wollte sich
Halef einmischen, aber Kadir Bei wies ihn zurecht: «Schweig,
deine Zeit zum Sprechen kommt noch.» Nun sprach Kadir
Bei: «Die Anklage ist schwer. Hast du Beweise dafür, Machredsch von Mossul?» Hochmütig erwiderte dieser: «Ich gebe
meinen Eid als Statthalter des Padischahs und der Eid der Männer, die alles gesehen haben.»
Kadir Bei befahl: «Die
Zeugen sollen vortreten.» Die Männer des Machredsch traten herbei, allen voran Durek. Sie bestätigten die Aussagen
des Machredsch, hoben die Hände zum Schwur und traten
wieder zurück.
Kadir Bei wandte sich jetzt an die Angeklagten mit der
Frage: «Habt ihr die Verbrechen begangen, deren man euch
anklagt?» Kara ben Nemsi antwortete für alle: «Der Machredsch vermischt Wahrheit und Unwahrheit, Kadir Bei . . .»
Dieser unterbrach ihn hart: «Antwortet mit Ja oder Nein.»
Da sagte Kara langsam und deutlich: «Ja. Aber schuldig ist
allein dieser Mann. Er ist nicht mehr Statthalter des Padischahs, er wurde abgesetzt.» Hier sprang der Machredsch
auf und schrie zornig: «Das ist eine Verleumdung!» Aber
Kadir Bei achtete nicht auf ihn. Er fragte Kara: «Kannst du
das beweisen?» Kara antwortete: «Sende einen Boten zum
Mütessellin von Burusco, er wird es dir bestätigen.» Doch
Kadir Bei und das Gericht wollten nicht soviel Zeit verlieren, da niemand Karas Worten wirklich Glauben schenkte.
Die drei Gefangenen wurden zum Tode verurteilt. Drei Galgen sollten auf dem Platz errichtet werden.
Die Wächter, die bei den vier Gefangenen in den Felsenhöhlen zurückgeblieben waren, teilten sich in ihre Arbeit. Einer bewachte die beiden Mädchen, der andere die Männer, die in einer anderen Höhle untergebracht waren. Alle Gefangenen waren immer noch gefesselt und die Arbeit der Wächter gering. Ingdscha hatte ungeduldig gerufen, sie habe Durst. Ihr Wächter ergriff daraufhin eine Korbflasche, ging zu ihr hin und hielt ihr die Flasche an den Mund. Sie fragte ihn, ob er ihr nicht die Fesseln abnehmen könnte. Aber der Wächter verneinte. Der Machredsch habe es ausdrücklich verboten. Jetzt fragte Benda: «Wo ist eigentlich der Machredsch?» Der Wächter war in redseliger Laune und verriet, sein Herr sei mit Kadir Bei zu den Chaldäern geritten, wo die Gefangenen gerichtet werden sollten. Als Ingdscha den Namen ihres Vaters hörte, blitzte es in ihren Augen auf. Sie war nicht weit von zu Hause, sie mußte sich befreien. Sie fragte den Wächter nach seinem Freund und vernahm, der bewache die beiden Engländer. Benda hatte gemerkt, worauf ihre Herrin hinauswollte. Sie verwickelte den Wächter in ein Gespräch, so daß seine Aufmerksamkeit von Ingdscha abgelenkt wurde. Diese benützte die Gelegenheit. Mit ihren gefesselten Händen ergriff sie die Korbflasche und schlug sie mit aller Kraft auf den Kopf des Wächters, der bewußtlos zusammenbrach. Ingdscha nahm ihm sein Messer und zerschnitt ihre und Bendas Fesseln. Benda fesselte und knebelte daraufhin den Mann schnell und gründlich. Ingdscha nahm des Wächters Gewehr an sich und schlich aus der Höhle. Bald hatte sie die andere Höhle entdeckt. Dort zog der Wächter gerade allerlei Kleidungsstücke aus der Reisetasche des Lords und probierte sie an.
Er hatte sein Wächteramt total vergessen. Ingdscha schlich
sich heran, hob das Gewehr und schlug den Wächter mit
einem Kolbenhieb nieder. Ingdscha zerschnitt nun schnell
die Fesseln der Männer und erzählte ihnen, was sie vernommen hatte. «Ich muß zu meinem Vater, sonst geschieht
ein Unglück», schloß sie. Sie eilte zu den Pferden der Wächter, suchte das bessere aus, schwang sich hinauf und
galoppierte davon. «Alles Gute!» rief ihr der Lord nach und fesselte dann eigenhändig den bewußtlosen Wächter.
Ingdscha ritt in vollem Galopp den Paßweg hinunter auf das
Tal der Chaldäer zu. Sie bemerkte die Reiterschar unten im
Tal nicht. Doch die Reiter sahen das Mädchen und stürmten
heran, um ihm den Weg abzuschneiden. Jetzt sah und hörte
Ingdscha die Verfolger und versuchte, ihnen in einem großen Bogen zu entkommen. Aber sie wurde bald von einem
der Reiter eingeholt und angehalten. Ein paar Augenblicke
später war sie von der ganzen Schar umringt. An ein Entkommen war nicht zu denken.
Die Chaldäer hatten inzwischen auf dem Richtplatz die drei
Galgen aufgestellt. Die Richter mit Kadir Bei, der Machredsch und seine Leute standen davor. Rings um sie drängte
sich das Volk. Jetzt entstand plötzlich eine Gasse in der
Menge. Die Verurteilten wurden herbeigeführt. Halef jammerte: «Sihdi, soll ich wirklich meine Familie nicht wieder
sehn?» Kara versuchte ihn zu trösten: «Solange man lebt,
darf man auch hoffen.» Ahmed flüsterte: «Jetzt gehe ich in
einer Woche das zweitemal den Weg zum Galgen.» Kara
sagte nichts, er wußte, daß im Augenblick ein Fluchtversuch
keinen Sinn hatte. Sie waren immer noch gefesselt und hätten niemals durch die dicke Volksmenge entkommen
können. Jetzt wurden die drei Freunde auf die Plattform unter
den Galgen geführt. Kadir Bei gab das Zeichen, und die
Henker legten den Verurteilten die Schlinge um den Hals.
Triumphierend schaute der Machredsch zu. Er war der Sieger. Kara ben Nemsi, sein Todfeind, würde bald am Galgen
hängen.
In diesem Augenblick galoppierte eine Reiterschar heran,
an der Spitze Ingdscha mit wehenden Haaren, hinter ihr
Selin Aga und zehn schwer bewaffnete Soldaten. Rücksichtslos jagten sie durch die Menge auf den Richtplatz.
In vollem Galopp sprang Ingdscha vom Pferd, blieb genau
vor ihrem Vater stehen, wies mit ausgestrecktem Arm auf
den Machredsch und rief so laut, daß alle es hörten: «Da
steht er, der Mörder der Chaldäer!» Kadir Bei konnte die
Worte der Tochter nicht glauben. Aber da trat Selin Aga
zu ihm und erklärte: «Der Padischah hat ihn abgesetzt und
einen Preis von fünfzigtausend Piastern auf seinen Kopf
gesetzt!» Empört schrie jetzt die Menge auf und drängte
heran.
Der Machredsch wußte, daß sein Spiel aus war. Er zog sein
Messer und erstach damit Selin Aga, dann warf er es blitzschnell nach Kara ben Nemsi, doch der konnte dem
tödlichen Stahl gerade noch ausweichen. Nun zog der Machredsch seinen Revolver und schoß in die Menge hinein, sich
so eine Gasse bahnend. Mit langen Sprüngen, rücksichtslos
um sich schlagend und schießend, entkam er. Ingdscha hatte
die Gefangenen von den Fesseln befreit, und Kara nahm
sofort die Verfolgung des Machredschs auf.
Aber er umging die Volksmenge und hoffte, so dem Fliehenden den
Weg abschneiden zu können.
Der Machredsch hastete durch Straßen und Gassen der Felsenstadt, immer bergauf, dem Haupttempel entgegen. Die
schreiende Menge war zurückgeblieben. Nur Kara hatte ihn
nicht aus den Augen verloren und blieb ihm dicht auf den
Fersen. Immer wieder mußte der Machredsch entgegenkommenden Menschen ausweichen, mußte Haken schlagen,
wollte zurück. Doch da stand Kara ben Nemsi vor ihm. In
wilder Angst kletterte er auf einen Dachfirst hinauf und
rannte gebückt weiter über die niederen Dächer. Er schaute
zurück - Kara ben Nemsi war hinter ihm. Er sprang von den
Dächern hinunter auf eine leere 5traße, die zum Haupttempel führte. Atemlos jagte er sie hinauf,
warf einen gehetzten Blick zurück - Kara ben Nemsi war da. Weiter ging
die Flucht, eine steile Treppe hinauf. Laut hallten seine
Schritte - aber nicht nur seine, auch die des Verfolgers.
Plötzlich bremste der Machredsch in vollem Lauf. Über ihm
stand ein Priester in weißem Gewand. Hinter ihm nahte Kara
ben Nemsi.
Da erinnerte er sich seines Revolvers. Schon krachte ein
Schuß, und der Priester brach zusammen. Der Machredsch
stieg über ihn weg und jagte weiter. Er hörte die Schritte
Kara ben Nemsis schon ganz nahe hinter sich. Da sah er
eine Steinkugel auf einem Mauervorsprung. Er stemmte sich
dagegen und stieß sie hinunter. Mit dumpfem Getöse polterte sie die Stufen hinab auf Kara ben Nemsi zu. Im letzten
Moment konnte sich dieser in einen Steintrog werfen, und
die Kugel donnerte an ihm vorüber. Schon sprang er wieder
auf und hastete weiter hinter dem Machredsch her. Dieser
hob jetzt wieder seinen Revolver. Kara warf sich zu Boden.
Vier Schüsse dröhnten durch den Tempel. Keiner der
Schüsse traf.
Nun stand der Machredsch auf der Tempelplattform, hoch oben auf dem Berg. Er wußte keinen Ausweg mehr, er mußte
sich zum Kampf stellen. Als Kara ben Nemsi auf der Plattform ankam, sprang er ihn an. Doch Kara wußte sich zu
wehren. Ein Ringkampf auf biegen und brechen begann.
Zweimal gelang es dem Machredsch beinahe, seinen Todfeind über die steilen Felsen in den Abgrund
hinunterzustürzen. Doch beide Male gelang es Kara im letzten Augenblick, sich zu fangen und zu halten. Der Kampf ging weiter.
Wieder lag Kara halb über dem Abgrund. Der Machredsch holte zum Siegesstoß aus. Doch bevor er ihn ausführen
konnte, traf ihn ein gewaltiger Fußtritt Kara ben Nemsis. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte über die Felskante
hinaus in den Abgrund.
Langsam stand Kara ben Nemsi auf und blickte völlig erschöpft in die Tiefe. Unten standen die Chaldäer. Sie hatten
den Kampf verfolgt und jubelten jetzt zu ihm hinauf. Die sinkende Sonne tauchte den Tempelberg und das Felsental
der Chaldäer in rotleuchtendes Abendlicht.
FORTSETZUNG IM KARL-MAY-FILM: IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN
ORIGINAL
ALLE BILDER AUS DEM TECHNISCOPE-FARBFILM NACH DEM GLEICHNAMIGEN ROMAN VON KARL MAY
"DURCHS WILDE KURDISTAN"
COPYRIGHT ©1965
PRODUKTION: CCC-FILM
VERLEIH: GLORIA-FILM
FILM-PLAKATE-POSTER
Plakat DIN A1 "Durchs wilde Kurdistan" (EA Gloria 1965) und (WA Elysee 1983)
Erscheinungsjahr | 1965 (EA 28.09.1965) |
Regie | Franz Josef Gottlieb |
Drehbuch | Franz Josef Gottlieb und Georg Marischka |
Musik | Raimund Rosenberger |
Kamera | Francisco Marin |
Film | Techniscope (2.35:1), 35 mm, Technicolor |
Original-Film (KINO) | 2858 m = 104 min. 28 sec. |
TV/VIDEO/DVD * | 100 min. 17 sec. |
FSK: | Ab 12 Jahren, einige Tage später ab 6 Jahren (gekürzte Version) |
Bemerkungen | - |
Prädikat | "kein Prädikat" |
* | Die Differenz zur Kinofilm Laufzeit erklärt sich durch die um ein Bild pro Sekunde höhere Video Bildfrequenz. (KINO 24 Bilder/Sek.) (TV 25 Bilder/Sek.) (PAL-SYSTEM) |