OLD SUREHAND   1. TEIL

ORIGINAL FILM STORY UND FILM BILDER (*)


OLD SUREHAND 1. TEILOLD SUREHAND 1. TEIL


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OLD SUREHAND 1. TEIL

Bilder aus dem Ultrascope-Farbfilm nach dem gleichnamigen Roman von Karl May

Produktion: Rialto-Film Preben Philipsen/Jadran-Film
Regie: Alfred Vohrer
Gesamtleitung: Horst Wendlandt

Personen und ihre Darsteller:

Old Surehand . . . . . . . . . . . . Stewart Granger
Winnetou . . . . . . . . . . . . . . .  Pierre Brice
Judith . . . . . . . . . . . . . . . . . . Letitia Roman
General . . . . . . . . . . . . . . . . . Larry Pennell
Toby . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mario Girotti
Richter Edwards . . . . . . . . . . Wolfgang Lukschy
Captain Miller . . . . . . . . . . . . Erik Schumann
Old Wabble . . . . . . . . . . . . . . Paddy Fox
in weiteren Rollen:
Mato Zivojinovic, Voja Miric, Dusko Janicijevic,
Dusan Antonijevic, Vladimir Medar, Hermina Pipinic,
Jelena Jovanovic u. a.

Verleih: Constantin-Film
Weltvertrieb: Rialto


OLD SUREHAND 1. TEIL

Durch die wilde, einsame Berglandschaft fuhr ratternd und keuchend der Postzug auf das Bahnarbeiter-Camp am Jefferson River zu. Im Postwagen lagen in zehn Säcke verpackt die Lohngelder für einen ganzen Monat. Im Personenwagen saßen die Bewacher der kostbaren Fracht, im ganzen neun Mann. Sie hatten ihre Gewehre schußbereit auf den Knien, denn die Postzüge wurden immer wieder von Räubern überfallen und ausgeplündert. Doch bis jetzt war die Fahrt ungestört verlaufen, nichts hatte sich ereignet. Eben ratterte der Zug durch eine Felsenschlucht und kam danach auf eine lange, gerade Strecke, die zwischen hohen Felswänden lag. Alles schien ruhig. Doch hinter Blöcken versteckt lagen zwei Banditen auf der Lauer. Als der Zug an ihnen vorbeigedampft war, gaben sie ihren Kumpanen die verabredeten Handzeichen. Daraufhin tauchten plötzlich aus Schluchten und Gräben, hinter Felsblöcken und Büschen hervor, kleine Reitergruppen auf. Bald hatte sich eine Bande von dreißig Wegelagerern zusammengefunden. Die Männer hatten sich schwarze Tücher vor das Gesicht gebunden und ritten nun in gestrecktem Galopp hinter dem Postzug her. Bald hatten sie ihn eingeholt und eröffneten das Feuer. Der Lokomotivführer wurde getroffen und stürzte auf den Bahndamm. Schnell nahm der Heizer seinen Platz ein. Gleichzeitig schlugen die Männer im Begleitwagen mit den Gewehrkolben die Fensterscheiben ein und schossen durch die gähnenden Öffnungen auf die Angreifer. Die ersten Banditen wurden getroffen und stürzten, aber die Verfolgungsjagd ging weiter. Ein Räuber probierte auf die Lokomotive zu springen, wurde aber noch in der Luft von einer Kugel getroffen. Zwei andere Banditen griffen die Lokomotive an. Einer erschoß den Heizer, sprang auf die Plattform und riß den Bremshebel herunter. Kreischend hielt der Zug. Potter, der Anführer der Bande, schrie: «Los!» und von beiden Seiten sprangen die Maskierten auf den Zug zu. Zwei zogen ihre Revolver, zerschossen die Plombe am Schloß des Postwagens und rissen die Türe auf. Einige kletterten darauf in den Wagen und warfen die Geldsäcke hinaus. Andere holten die Zugsbegleiter aus ihrem Abteil und stießen sie in den fensterlosen Postwagen. Dann wurde die Türe verriegelt. Während einige die Geldsäcke auf den Packpferden festbanden, brachten andere eine Dynamitladung unter dem Postwagen an und legten neben den Schienen eine dreißig Meter lange Zündschnur aus. Potter kontrollierte seine Gesellen und behielt wachsam das Gelände im Auge. Plötzlich sah er, wie einer der ausgestellten Wachtposten aufgeregt Zeichen gab. «Los, wir müssen weg! Clinch, zünd an!» schrie er, sprang auf sein Pferd und sprengte davon. Die Banditen folgten ihm, und nach wenigen Augenblicken waren alle zwischen den Felswänden verschwunden. Clinch entfernte sich als letzter, nachdem er die Zündschnur in Brand gesteckt hatte.
Während sich der Funke an der Zündschnur mit leisem Zischen dem Dynamit näherte, ritt Old Surehand über den Bergrücken nahe dem Bahngeleise. Als er den stehenden Zug erblickte, zügelte er sein Pferd und beugte sich im Sattel vor, um besser beobachten zu können. Ihm war sofort klar, daß hier ein Überfall stattgefunden hatte. Bald erblickte er auch

das kleine, wandernde Rauchwölkchen. Er erriet schnell, was es bedeutete, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte los, den Blick immer auf das Räuchlein gerichtet. Er mußte die Zündschnur löschen bevor das Feuer die Dynamitladung erreichte! Doch als er die halbe Strecke zurückgelegt hatte, sah er ein, daß er es niemals rechtzeitig schaffen würde. Im Reiten zog er sein Gewehr aus dem Sattelfutteral, zügelte dann das Pferd, riß das Gewehr an die Schulter und schoß. Die Kugel zerfetzte die Zündschnur zwischen Sprengladung und Glut. Dann ritt er zum Zug hinunter und öffnete die Postwagentüre. Ganz benommen stiegen die Männer aus und starrten den Reiter an. Einer hob das abgeschossene Schnurende auf und sagte: «Ihr habt uns das Leben gerettet, wer seid ihr?» Ein anderer rief erstaunt: «Es gibt nur einen Mann, der so schießen kann! Ihr seid Old Surehand!» Dieser antwortete nicht. Er stieg auf sein Pferd, hob grüßend die Hand und sagte im Davonreiten: «Ich werde den Überfall in Mason City melden.»

In einiger Entfernung vom Zuge hatten sich die Banditen wieder zusammengefunden. Potter erteilte Befehle. Der Unteranführer Ponkie sollte mit seinen Leuten zum Einhorn reiten. Buster und seine Gruppe schickte er zum Fluß und befahl ihnen, einige Meilen durchs Wasser zu reiten. Das Geld vertraute er Bini und seiner Bande an. Sie sollten es ins Labyrinth bringen und dort sicher verstecken. Clinch und Cat erhielten den Befehl, möglichst viele Büffel aus der in einiger Entfernung weidenden Herde zu schießen. Potter wußte genau, daß die Büffel den Comantschen gehörten. Aber er wußte auch, daß die Indianer annehmen würden, die Jäger seien Bahnarbeiter gewesen. Sie würden sich zum Camp aufmachen und so die Leute hindern, die Banditen zu verfolgen. Während sich die Banden trennten, um Potters Befehle auszuführen, ritt dieser allein weg, um sich in der Stadt mit dem «General» zu treffen.
Clinch und Cat jagten auf die Büffelherde zu. In Schußnähe hielten sie an, zielten kurz und schossen dann planlos in die friedlich weidende Herde hinein. Bald lagen einige Büffel getroffen auf der Erde. Die übrigen begannen brüllend und stampfend zu fliehen. Clinch und Cat knallten ununterbrochen hinter ihnen her.
Über den Berghügel jenseits der Ebene ritt Maki-Moteh, der Häuptling der Comantschen, gefolgt von seinen Indianern. Er hörte die Schüsse und hob die Hand. Die Reiter hielten an und blickten wachsam über die Ebene. Maki-Moteh erspähte die fliehende Büffelherde und rief: «Fremde Jäger! Los! Mir nach!» Er wendete sein Pferd und galoppierte in der Richtung auf die Schüsse davon. Wortlos folgten ihm die Indianer.
Clinch und Cat schossen immer noch, aber jetzt nur noch aus Freude am Knallen. Sie hatten alles andere vergessen. Doch plötzlich, wie erwachend, ließ Clinch das Gewehr sinken, blickte sich um, sah die heranreitenden Indianer und schrie: «Die Comantschen!» Er riß sein Pferd herum und stob davon, dicht gefolgt von Cat. Aber die Indianer hatten sie gesehen

und verfolgten sie. Der Abstand verringerte sich zusehends. Tief über die Hälse ihrer Pferde gebeugt rasten Clinch und Cat über die Ebene. Sie hofften, noch vor den Indianern Mac Haras Farm zu erreichen und sich dort in Sicherheit zu bringen.
Auf der Farm war man durch die Schüsse aufmerksam geworden. Der Farmer, sein Sohn Bob und die beiden Knechte sahen Clinch und Cat und die verfolgenden Indianer kommen. Rasch griffen sie zu den Gewehren. Jetzt ritten die beiden Banditen in den Hof und riefen: «Die Indianer haben uns überfallen und jetzt überfallen sie euch!» Schnell sprangen sie von den Pferden, gingen in Deckung und schossen auf die heranjagenden Indianer. Diese teilten sich in zwei Gruppen und umkreisten die Farm in entgegengesetzter Richtung. Aus dem Galopp heraus schossen sie mit Bogen und Gewehren. Einige Pfeile flogen über die Umzäunung. Clinch und Cat schossen und trafen zwei Indianer. Auch der Farmer und Bob begannen zu schießen. Aber Bob sagte kopfschüttelnd: «Ich verstehe das nicht, die Comantschen sind doch unsere Freunde! Ich muß mit dem Häuptling reden.» Er warf seinem Vater das Gewehr zu und ging mit hochgehobenen Händen durchs Hoftor auf Maki-Moteh zu. Clinch gefiel das nicht. Er schwenkte langsam den Gewehrlauf zur Seite, zielte auf Bobs Rücken, schoß und senkte schnell das Gewehr. Bob brach tot zusammen. Alle Gefahr mißachtend rannte sein Vater zu ihm. Er glaubte, sein Sohn sei von den Indianern erschossen worden und schrie sie an: «Ihr Hunde! Ihr Schweine!» und schoß blindlings auf sie los. Maki-Moteh hob schnell den Arm und rief: «Der Kampf ist aus! Mir nach!» und die Indianer galoppierten davon. Clinch und Cat grinsten sich verstohlen zu.

Auf seinem Ritt nach Mason City kam Old Surehand auf der andern Seite der Büffelebene vorbei. Dort traf er einen Goldgräber, dem von Banditen das Pferd erschossen worden war. Er lieh ihm sein Packpferd und schlug ihm vor, gemeinsam nach der Stadt zu reiten. Der Goldgräber war einverstanden und bald näherten sich die beiden Reiter ihrem Ziel. In Mason City wurde gerade das Fest des zehnjährigen Bestehens der Stadt gefeiert. Eine fröhliche Menschenmenge, Pferde und Kutschen drängten sich in den festlich geschmückten Straßen.
Nur gedämpft drang der Festlärm in die Kanzlei des Richters Dick Edwards. Dieser und der «General» hatten gerade eine geschäftliche Besprechung beendet. Der «General» erhob sich, um sich in Mollys Hotel zu begeben, als die Tür heftig aufgestoßen wurde und drei Männer ins Zimmer stürzten. Es waren der Farmer Mac Hara und die Banditen Clinch und Cat. Als der «General» gegangen war, trat Mac Hara an den Schreibtisch des Richters und berichtete zornig von den Ereignissen des Nachmittags und daß die Roten seinen Sohn erschossen hätten. Clinch und Cat bestätigten seine Erzählung eifrig. Der Richter fragte erstaunt: «Wie konnte das nur passieren? Bob war doch gut Freund mit den Indianern!» Mac Hara schüttelte den Kopf: «Ich verstehe es auch nicht. Wir haben

uns immer an den Vertrag gehalten und ließen die Büffel weiden, wo sie wollten. Und trotzdem haben diese roten Schweine ...» Hier schwieg er verzweifelt.
Auf dem Hügelrücken hinter Mason City tauchten Maki-Moteh, sein Sohn Tou-Wan, der Medizinmann des Stammes und mehrere Krieger auf. Der Medizinmann war sehr aufgebracht über die Hinterlist und Falschheit der Weißen. Aber Tou-Wan war nicht seiner Meinung. Er wollte in die Stadt reiten, mit den Weißen sprechen und sie fragen, warum sie den alten Vertrag nicht mehr einhalten wollten. Maki-Moteh blieb schweren Herzens zurück und schaute seinem Sohn nach, bis er im Festgewimmel der Stadt verschwand.
Auch Old Surehand und der Goldgräber Ben waren in der Stadt angekommen. Sie wollten eben zu Bens Haus reiten, als sie auf eine Menschenansammlung aufmerksam wurden, in deren Mitte ein keulenschwingendes Mädchen stand. Dieses hatte eben mit kräftigen Schlägen dreimal den Bolzen ins Ziel gejagt und nahm als Preis ein Messer in Empfang. Jetzt erst erkannte Ben seine Nichte Judith wieder, die er zum letztenmal als Schulmädchen gesehen hatte. Judith erkannte ihren Onkel Ben ebenfalls und rief: «Onkel! und ich glaubte schon, du kommest niemals wieder!» Strahlend erzählte Ben Judith und ihrem Begleiter Toby, daß er mit der Goldsuche Erfolge gehabt habe und daß für Judith eine schöne Aussteuer herausschauen werde. Old Surehand rief Judith zu sich und sagte leise zu ihr: «Ihr Onkel muß sich schnell die Goldgräberrechte sichern, und vor allem soll er nicht so viel darüber reden.» Dann winkte er den beiden freundlich zu und ritt davon, um in Mollys Hotel ein Glas Bier zu trinken. Als er zurückkam, sah er vor dem Haus des Richters eine finster blickende Menschenmenge. Im Vorüberreiten hörte er einen Farmer erzählen, die Comantschen hätten Mac Haras Farm überfallen und seinen Sohn erschossen. Zwei Weiße, die alles mit angesehen hätten, seien mit ihm beim Richter.
Old Surehand bahnte sich einen Weg durch die Menge, blickte durchs offene Fenster ins Zimmer des Richters und hörte diesen gerade sagen: «Die Comantschen griffen euch ohne Grund an, als ihr auf dem Weg zum Fest waret? Dann wundert es mich nur, daß ihr noch am Leben seid.» Jetzt trat Old Surehand ins Zimmer, nickte dem Richter zu und sagte: «Du hast recht, Dick, und außerdem hatten die Comantschen keinen Grund, sie anzugreifen. Seit sie den Vertrag mit Mac Hara haben, geht es ihnen besser als je. Da ist etwas faul. Es würde mich nicht wundern, wenn man den Indianern auch noch den Bahnüberfall am Jefferson River in die Schuhe schieben würde!» In kurzen Worten erzählte er dem Richter, was er von dem Bahnüberfall wußte. Dieser schickte daraufhin Toby, seinen Gehilfen, sofort weg, um alles Nötige zu veranlassen.

Die Menge draußen war inzwischen noch größer geworden. Die Männer riefen einander zu, die Comantschen hätten den Zug überfallen, ausgeraubt und viele Männer getötet. Einer schrie: «Diese hinterlistigen Roten! Erst wenn sie tot sind, ist Ruhe!»
Gerade zu diesem Zeitpunkt hatte der Häuptlingssohn Tou-Wan die Stadt erreicht. Er ließ das Pferd stehen und ging zu Fuß weiter, ohne auf die vielen erstaunten Blicke zu achten, die ihm folgten. Unbewaffnet ging er auf das Haus des Richters zu. Oben in Mollys Hotel öffnete sich leise ein Fenster, und ein Gewehrlauf erschien. Jetzt war Tou-Wan vor dem Haus des Richters angelangt, aber die Menschenmenge öffnete sich nicht, um ihn durchzulassen. Eine Stimme rief: «Ein Comantsche!» Eine andere: «Schlagt ihn tot!» Old Surehand und der Richter hörten die Rufe und traten vors Haus, gefolgt von Mac Hara. Als der Farmer den Indianer sah, verzerrte sich sein Gesicht vor Haß: «Gebt mir euer Gewehr!» rief er Old Surehand zu. Doch dieser gab das Gewehr nicht her. Er redete Mac Hara eindringlich zu: «Der Indianer kommt ohne Waffen, wir wollen ihn anhören, und wenn ihr ihn tötet, wird euer Sohn auch nicht wieder lebendig.» Aber der Farmer wollte nicht hören. Er riß einem neben ihm stehenden Mann das Gewehr aus der Hand und legte auf den Indianer an. Doch bevor er abdrücken konnte, krachte ein Schuß, und Tou-Wan brach tot zusammen. Der Gewehrlauf im Fenster von Mollys Hotel verschwand, und die Fensterflügel schlossen sich leise. Die Menge verstummte und öffnet schweigend eine Gasse für Old Surehand, der sich mit traurigem Gesicht über den toten Häuptlingssohn beugte und ihn dann aufhob, um ihn auf eine Decke zu betten. Dann richtete er sich wieder auf und redete in verächtlichem Ton zu der Menge: «So feiert ihr das zehnjährige Bestehen eurer Stadt.» Lange blickte er dann hinüber zu den Hügeln hinter Mason City, bevor er endete: «Vielleicht werdet ihr das elfte Jahr nicht mehr erleben.» Darauf wandte er sich langsam ab und ging ins Zimmer des Richters zurück.
Ein Kundschafter der Comantschen hatte die Ereignisse vor dem Haus des Richters beobachtet und ritt nun im wildem Galopp ins Lager zurück. Vor Maki-Moteh sprang er vom Pferd und warf sich mit ausgebreiteten Armen zu Boden. «Sprich», forderte ihn der Häuptling auf. Da stieß er hervor: «Tou-Wan . . . sie haben ihn getötet, er ist tot!» Mit steinernem Gesicht blieb Maki-Moteh stehen und winkte mit einem Blick zwei junge Unterhäuptlinge zu sich. Der Medizinmann schlug mit krachendem Schlag den Tomahawk in den Totempfahl. Die Unterhäuptlinge empfingen ihre Befehle von Maki-Moteh und entfernten sich dann leise. Nach einer Weile kamen sie in voller Kriegsbemalung wieder aus ihren Zelten, sprangen auf ihre Pferde und ritten nach der Stadt. Ungesehen gelangten sie zu einem Haus am Stadtrand, wo sie sich versteckten und den Platz vor dem Haus des Richters im Auge behielten. Der Häuptlingssohn lag noch immer da, wie Old Surehand ihn gebettet hatte. Geduldig warteten die beiden Indianer, bis die Straßen leer waren. Ein Sturm, der Sand und Papierfetzen hoch aufwirbelte, kam ihnen zu Hilfe. Die Leute verzogen sich in die Häuser und Wirtschaften. Als

niemand mehr zu sehen war, wagten sie sich hervor, hoben den toten Tou-Wan auf und legten ihn auf ein Pferd. Bevor sie mit ihm davonritten, rammten sie an der Stelle, wo er gelegen hatte, sieben Lanzen mit nach oben gerichteten Spitzen in die Erde.

Mac Hara hatte den Richter verlassen und war auf seine Farm zurückgeritten. Clinch und Cat waren in Mollys Hotel gegangen, um eins auf ihre eigene Schlauheit zu trinken. Der Richter und Old Surehand saßen allein im Zimmer. Sie waren in ein ernstes Gespräch vertieft. Der Richter bat Old Surehand, ihm behilflich zu sein und ihm die Erlaubnis zu geben, dem Volk seinen Namen zu nennen. Doch davon wollte Old Surehand nichts wissen. «Du weißt, warum ich hier bin», sagte er, «und ich kann mein Ziel nur erreichen, wenn ich unerkannt bleibe. Und übrigens - warum hast du mir den Boten geschickt, der mich zu dir rief?»
«Du suchst doch den Mann, der vor Jahren deinen Bruder umbrachte. Jeremy Sanders entkam damals, und ich weiß, wo er jetzt ist», erklärte der Richter. «Er wird schon jahrelang steckbrieflich gesucht, und ein alter Waldläufer hat ihn auf dem Steckbrief erkannt. Er lebt als Tierfänger oben in den Grizzly-Bergen.» Old Surehands Augen blitzten auf bei der Nachricht. Aber er schüttelte bestimmt den Kopf, als er sagte: «Jeremy ist nicht der Mörder, er gehörte zur Familie.» Der Richter ließ den Mann holen, welcher Jeremy Sanders kannte, und Old Surehand beschloß, morgen früh mit ihm loszureiten. In diesem Augenblick wurde die Tür heftig aufgestoßen. Ein Mann trat ein und winkte dem Richter aufgeregt, sofort zu kommen. Dieser trat mit dem Mann aus der Tür, und Old Surehand hörte die hastig hervorgestoßenen Worte: «Der tote Comantsche ist fort!» Er trat hinter den Richter und sah die sieben Lanzen, deren Spitzen im Fackelschein blinkten. Mehrere Menschen standen stumm dabei. Einige Gäste waren vor Mollys Hotel getreten und schauten herüber. Der Richter, sein Versprechen vergessend, rief: «Toby, hol Old Surehand her, er ist im Zimmer!» «Old Surehand!» flüsterten erstaunt die Umstehenden. «Old Surehand, der fehlte gerade noch!» knirschte der «General», der zwischen den Hotelgästen stand. Der Gerufene trat vor und sprach ernst: «Maki-Moteh hat seinen Sohn geholt. Und die Lanzen bedeuten Krieg.» In die Stille nach diesen Worten brach dröhnend der unheimliche Ton der Kriegstrommeln. Gedrückt zerstreute sich die Menge. Old Surehand und der Richter traten ins Haus zurück. «Drei Tage dauert die Trauerfeier für Tou-Wan», sagte Old Surehand, «dann gibt es Krieg. Es sei denn, du findest den Mörder des Häuptlingssohnes.» Und nach einer Pause: «Frag einmal die beiden Büffeljäger, die dir erzählten, die Comantschen hätten sie überfallen. Ich glaube nämlich, Bob Mac Hara wurde von hinten erschossen, nicht von vorn. Und dann können es die Indianer nicht gewesen sein.» Der Richter fragte verzweifelt: «Und wenn ich Tou-Wans Mörder nicht finde?» «Dann kann nur noch Winnetou helfen», erwiderte Old Surehand. «Wir brauchen ihn nicht zu rufen, das haben die Trommeln Maki-Motehs längst für uns getan.»

In Mollys Hotel hatte sich der Goldgräber Ben zu Potter, Clinch und Cat gesetzt, um mit ihnen zu spielen. Die Höhe des Einsatzes sei nicht begrenzt, hatte er laut geprahlt, und ein paar erbsengroße Goldkörner auf den Tisch gelegt. Daraufhin war der «General» herbeigekommen, um sich am Spiel zu beteiligen. Vorsichtig hatte er von Ben zu erfahren gesucht, wo er das Gold gefunden habe. Doch Ben hatte ihm das Geheimnis nicht verraten.
Als der- «General» von draußen hereinkam und erzählte, die Comantschen hätten den Krieg erklärt, meinte Ben achselzuckend: «Da hat man endlich einmal Glück gehabt, aber wo liegt die Goldfundstelle? Mitten auf einem Kriegsschauplatz!» Der «General» riet ihm, seine Goldgräberrechte doch zu verkaufen, aber Ben ging nicht darauf ein, stand auf und ging hinaus. Als sie allein waren, sagte der «General» zu den andern: «Old Surehand ist ein kühner Mann, er wird sicher alles daransetzen, den Mörder des Indianers zu finden.» Potter antwortete: «Ich würde ihm das Nachdenken abnehmen.» Clinch wandte sich an Cat: «Und ich würde es tun, bevor es zu spät ist.» Daraufhin stand Cat auf und ging hinaus. Dicht an die Hausmauer gedrückt blieb er neben der Türe stehen und spähte durch das erleuchtete Fenster ins Zimmer des Richters. Da kamen Judith und Toby die Straße herunter, und Cat schlüpfte hinter einige Kisten. Aber Judith hatte gute Ohren. Sie blieb stehen und fragte: «Toby, hörst du nichts?» Dieser verneinte verwundert. Judith drehte sich langsam um und trat zwei Schritte auf die Kisten zu. Da riß Cat seinen Colt hoch und zischte: «Keine Bewegung!» Judith unterdrückte einen Schrei und blieb regungslos stehen. Toby kam verwundert näher, sah den Mann mit der Waffe und erstarrte vor Schreck. In diesem Augenblick ging die Tür des Richters auf und Old Surehand trat heraus. Cats Revolver richtete sich sofort auf ihn. Da schrie Judith warnend: «Surehand!» Cat schoß, aber Surehand war flinker gewesen. Er war herumgefedert und hatte den Bruchteil einer Sekunde schneller gefeuert als Cat. Seine Kugel streckte den Banditen zu Boden.
Auf die Schüsse hin kam der Richter auf die Straße gelaufen. Old Surehand zeigte auf den Toten und sagte: «Erkennt ihr ihn? Ich wette, das ist Büffeltöter Nr. 1.» Der Richter nickte nachdenklich: «Ich glaube, ihr habt recht, aber warum wollte er euch töten? Und wo ist der andere?» Old Surehand antwortete: «Den holen wir am besten gleich, bevor er tut, was diesem hier mißglückt ist.»
Der Richter ordnete nun an, den Toten zum Sheriff zu bringen. Die Leute, die sich inzwischen eingefunden hatten, forderte er auf, ruhig nach Hause zu gehen. Old Surehand bedankte sich bei Judith für die rechtzeitige Warnung und gab ihr den Rat, jetzt schnell heim und zu Bett zu gehen. Das Mädchen hielt sich aber nicht daran und folgte ihm mit Toby zu Mollys Hotel.
Cat war kaum gegangen, als Ben an den Tisch zurückkam und mit dem «General», Potter und Clinch zu spielen begann. Er gewann und war darüber sehr erfreut. Er mischte die Karten neu und bemerkte gar nicht, daß das Stimmengewirr im Raum

plötzlich verstummte: Doch die drei andern wurden aufmerksam und schauten zur Tür. Da sahen sie, daß es mit Cats Auftrag schief gegangen war, denn Old Surehand betrat den Raum, gefolgt von Judith und Toby. Er ließ den Blick prüfend durch die Wirtsstube gleiten, tippte dann grüßend an die Hutkrempe und ging langsam auf den Tisch des «Generals» zu. Da stand am Nebentisch ein Mann auf und rief Old Surehand zu: «Ihr habt einen Mann erschossen!» Ruhig und ernst tönte die Antwort: «Ja, er war ein Verbrecher.» «Und Verbrecher müssen bestraft werden», mischte sich der «General» ein. Old Surehand trat nun an den Tisch und fragte Ben, ob er den Richter schon aufgesucht habe wegen seiner Goldgräberrechte. Ben antwortete gemütlich, das eile ja nicht so, die Herren hier seien in Ordnung. Old Surehand lächelte spöttisch, beugte sich plötzlich vor, zog Clinch eine As-Karte aus dem Ärmel und ließ sie auf den Tisch flattern. Der «General» heuchelte Empörung und Verachtung über den Falschspieler, während Clinch aufsprang und zum Colt griff. Aber Old Surehands Faust schoß vor und Clinch flog drei Tische weit fort und wurde dort verprügelt. Potter sprang auf und mischte sich ein, und bald war eine gewaltige Schlägerei im Gange. Stühle krachten und Flaschen splitterten. Als das Getümmel am größten war, stahl sich der «General» heimlich davon, und bald verschwanden auch Potter und Clinch durch die Hintertüre. Toby stand im Haupteingang, nahm die Betäubten in Empfang, stellte sie wieder auf die Beine und beförderte sie mit einem Fußtritt ins Freie. So leerte sich der Raum, und die Übriggebliebenen kamen wieder zur Besinnung. Old Surehand sah sich im Raum um und fragte dann: «Wo ist eigentlich Ben?» Erstaunt antwortete Judith: «Ich weiß nicht, eben war er noch hier.» Wie als Antwort auf diese Frage knallte draußen ein Schuß. Die Leute in der Wirtsstube schauten einander erschrocken an. Judith rief: «Onkel Ben! Onkel Ben!» und rannte hinaus. Toby und Old Surehand folgten ihr.
Nicht weit vom Wirtshaus entfernt fanden sie Ben mit einem Messer in der Brust und dem rauchenden Colt in der rechten Hand. Er atmete noch. Old Surehand beugte sich über ihn und fragte ihn: «Habt ihr den Mann erkannt?» Ben antwortete mühsam: «Nein, der Plan, man hat mir den Plan ...» Judith rief überrascht: «Sein Lederbeutel mit dem Gold ist auch weg!» Dann fragte sie: «Onkel Ben, war es ein Indianer?» «Nein, nein», keuchte Ben. Dann schloß er die Augen für immer. Old Surehand stand auf und blickte angestrengt in die Nacht hinein. Weit entfernt sah er zwei Reiter aus der Stadt galoppieren, konnte sie aber nicht erkennen. Er tat einige Schritte in ihrer Richtung, blieb aber dann erschrocken stehen. Vor seinen Füßen lag Clinch, den Bens Kugel mitten ins Herz getroffen hatte. Er überlegte: «Das ist der zweite Büffeltöter ... hat er wohl auch den Häuptlingssohn auf dem Gewissen? Ich weiß es noch nicht, werde es aber bald wissen!»

Am nächsten Morgen in aller Frühe machten sich Old Surehand und sein Führer auf den Weg, um Jeremy Sanders aufzusuchen. Gegen Mittag hatten sie bereits den Einstieg in die

Grizzly-Berge erreicht und ritten auf einem schmalen Paßpfad eine steile Felswand hinan. Der felsige, mit Steinbrocken übersäte Weg war sehr beschwerlich für die Pferde, und die beiden Reiter blickten nur ungern in den Abgrund zu ihrer Rechten hinunter. Endlich hielt Old Surehand an und schaute in die Höhe, um das Ende dieses mühsamen Aufstiegs abzuschätzen. In diesem Augenblick rollte ein mächtiger Felsbrocken den Steilhang herunter, krachte hart vor seinem Pferd auf den Pfad und polterte dann in den Abgrund hinab. Old Surehand suchte mit den Augen den Berggipfel ab und sah eben noch eine menschliche Gestalt hinter einem Felsen verschwinden. Der Anführer starrte angstvoll in die Höhe und jammerte: «Die Geister! Ich komme nicht weiter! Manitou ist zornig, daß ich euch führe!» Aber Old Surehand erwiderte lächelnd: «Du sollst nicht an allem Unglück Manitou die Schuld geben.» Der Führer ließ sich jedoch nicht beruhigen. Er murmelte: «Die Hütte ist nicht mehr weit.» Dann wendete er sein Pferd und ritt hart am Abgrund an Old Surehand vorbei talwärts. Dieser blickte ihm achselzuckend nach, bis er hinter einer Wegbiegung verschwand. Eben wollte er sich allein wieder bergwärts auf den Weg machen, als von neuem ein dumpfes Poltern einsetzte. Er brachte sich und sein Pferd keine Sekunde zu früh unter einem überhängenden Felsen in Sicherheit, und schon donnerte eine gewaltige Steinlawine über ihn hinweg, eine dichte Staubwolke aufwirbelnd. Als sich der Staub etwas gelegt hatte, stieg Old Surehand vom Pferd und führte es am Zügel weiter den Berg hinauf. Der unfreundliche Empfang sollte ihn nicht hindern, sein Ziel zu erreichen. Endlich hatte er die gefährliche Felswand durchstiegen und erreichte ein kleines Hochplateau. In eine Bodenmulde duckte sich eine windschiefe Einsiedlerhütte. Old Surehand hielt an und rief laut: «Jeremy». Seltsam verzerrt gab das Echo den Ruf zurück, aber aus der Hütte kam keine Antwort. Da rief Old Surehand wieder: «Jeremy, ich weiß, daß du da bist!» Jetzt erschien ein bärtiges Gesicht hinter dem Fenster, und der Lauf eines Gewehres wurde herausgeschoben. Eine Stimme rief: «Verschwindet, und laßt mich allein, ich will nichts mit Fremden zu tun haben. Noch einen Schritt näher, und ich schieße euch über den Haufen!» Old Surehand gab sich jetzt deutlich zu erkennen. Er nannte auch seinen richtigen Namen John Garden. Aber der Einsiedler glaubte ihm nicht. Er verlangte Beweise. Sein Freund Jonny hätte früher das Auge einer Haselmaus auf 300 Schritte Entfernung getroffen. Er schwieg und zog sich zurück. Doch plötzlich wurde ein Blechteller zum Fenster hinaus in die Luft geworfen. Old Surehand schoß zweimal, ehe der Teller zu Boden fiel. Vorsichtig gebückt schob sich der Einsiedler aus der Hütte und hob ihn auf. Haargenau in der Mitte saßen zwei saubere Löcher so nahe beieinander, daß sie eine Acht bildeten. Da ging ein breites Grinsen über das Gesicht des Mannes. «Jonny», rief er, «komm her!» Jetzt kam Old Surehand heran und schloß seinen alten Freund, der im ganzen Westen unter dem Spitznamen Old Wabble bekannt war, in die Arme. Dann betrachtete er ihn liebevoll, und Mitleid überkam ihn. «Du liebe Zeit, alter Junge, was ist mit dir geschehen!» rief er aus. «Hast du dein Rasiermesser verloren? Komm, ich leihe dir

meins.» Gehorsam ging Old Wabble seinem Freund voran in die Hütte.
Während Old Surehand seinem Freund half, den Bart abzunehmen, fragte er ihn, warum er sich hier all die Jahre versteckt gehalten habe. Old Wabble erzählte, als Old Surehands Bruder damals ermordet worden sei, sei er selber auch überfallen worden. Verwundet sei er fortgekrochen, um Hilfe zu holen. Dabei müsse er ohnmächtig geworden sein. Beim Erwachen habe er den Sheriff sagen hören, man solle ihn, Old Wabble, tot oder lebendig herbeischaffen, er müsse der Mörder sein. Da habe er Angst bekommen, man würde ihm nicht glauben, und habe sich davongemacht. Seither habe er hier als Einsiedler gelebt. Old Surehand fragte ihn, wer denn die Mörder gewesen seinen, er müsse sie doch gesehen haben.
Old Wabble konnte sich aber nicht an die Männer erinnern, sie seien alle maskiert gewesen. Enttäuscht sagte Old Surehand: «So bin ich auf der Suche nach dem Mörder meines Bruders wieder dort, wo ich angefangen habe.» Aber Old Wabble versprach, ihm bei der Suche zu helfen. Gleich wolle er einige Sachen zusammenpacken und dann mit ihm ins Tal hinunterkommen.
Während Old Wabble in seinen Habseligkeiten kramte, ging Old Surehand zu seinem Pferd. Hoch über ihm trat ein Mann hinter einem Felsen hervor. In seiner Hand blitzte ein Messer. Plötzlich kam Old Wabble aus der Hütte gerannt und rief: «Jonny! Jonny! Mir ist eben etwas eingefallen! Ich konnte ihre Gesichter nicht sehen, aber einer hat den andern beim Namen genannt. Er nannte ihn . . .» In diesem Augenblick schleuderte der Mann beim Felsen das Messer. Aber gleichzeitig hob Old Surehand sein Gewehr und schoß. Die Kugel traf den Griff des heransausenden Messers, so daß dieses zu Boden fiel. Er schoß zum zweitenmal, und der Messerwerfer stürzte über die Felskante fast vor Old Surehands Füße. Wie wenn nichts gewesen wäre, fragte er darauf seinen Freund: «Welchen Namen wolltest du eben nennen?» Mit zitternder Stimme antwortete Old Wabble: «Er nannte ihn «General». Old Surehand kannte niemandem mit diesem Namen. Aber er dachte sich, sein Freund werde wohl richtig gehört haben, und dieser «General» müsse sich überdies in der Gegend aufhalten. Der Messerwerfer sei sicher von ihm bestellt gewesen, um Old Wabble am Sprechen zu hindern.
Dieser war zum genau gleichen Schluß gekommen und sagte sich, daß er sich in große Gefahr begebe, wenn er seine Einsiedelei verlasse. Er suchte nach einem triftigen Grund, um Old Surehand nicht ins Tal hinunter folgen zu müssen. Endlich sagte er erleichtert, er könne nicht mit, weil er kein Pferd habe. Aber Old Surehand durchschaute ihn und sagte lächelnd: «Der Messerwerfer hat vorgesorgt, dort steht sein Pferd. Steig auf!» Old Wabble fügte sich achselzuckend, und

bald ritten sie einer hinter dem andern die steile Felswand wieder hinunter.
Als sie später über eine Hochebene ritten, die von Felsen umgeben war, beugte sich Old Wabble plötzlich zur Erde, um einige Pferdespuren zu betrachten. «Eine ganze Horde Comantschen ist hier vorbeigeritten, und jetzt beobachten sie uns», sagte er aufgeregt und wollte zum Revolver greifen. Aber Old Surehand beruhigte ihn: «Laß den nur, du brauchst ihn nicht.» Dann richtete er sich auf und rief: «Mein Bruder Winnetou möge sich zeigen!» Da erschien auf der Spitze eines Felsens Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und hob grüßend die Hand. Lächelnd rief er zu ihnen hinunter: «Winnetou wußte, daß sein Bruder die Spuren von Iltschi erkennen würde!» Dann kam er leichtfüßig die Felsen herunter zu den beiden Freunden. Old Surehand begrüßte ihn erfreut: «Ich wußte, daß die Trommeln euch herbringen würden.» Ernst antwortete Winnetou: «Die Nachrichten sind schlecht. Maki-Moteh hat Kundschafter zu allen Stämmen gesandt. Alle sollen ihm helfen im Kampf gegen die Weißen: Auch sind zwei Bleichgesichter in Maki-Motehs Lager gekommen und haben ihm 100 Gewehre angeboten für ein kleines Stück steinigen Bodens. Einer der Männer nannte den andern «General». Bei diesem Namen horchte Old Surehand auf. Also hatte er recht gehabt. Der «General» war wirklich in der Gegend. Zu Winnetou sagte er: «Wir müssen versuchen, Maki-Moteh vom Krieg abzuhalten. Ich bin auf dem Weg zu ihm und will mein möglichstes tun.» Mit ernsten Gesichtern verabschiedeten sich die Freunde. Langsam stieg Winnetou wieder in die Felsen hinauf, während Old Surehand und Old Wabble schnell davonritten.
Im Lager der Comantschen wurde zu dieser Zeit die Totenfeier für den ermordeten Häuptlingssohn abgehalten. Der Tote lag auf einer Bahre, mit einer kostbaren, roten Decke zugedeckt, einen reich verzierten Tomahawk in den Händen. Im Kreis um die Bahre kauerten die Comantschen, die Hände auf den Knien. Maki-Moteh und die Unterhäuptlinge standen zu Häupten des Toten, zu seiner Linken stand sein Pferd, von zwei Jünglingen gehalten. Eintönig dröhnten die Totentrommeln. In einem Totempfahl steckten brennende Fackeln. Jetzt zog der Medizinmann eine heraus und übergab sie dem Häuptling. Dieser senkte sie langsam, bis das Feuer die Bahre berührte. Bald züngelten die Flammen hoch und griffen rasch auf die Decke über. Maki-Moteh gab dem Medizinmann die Fackel zurück: Auch er und die Unterhäuptlinge knieten jetzt nieder. Auf ein Zeichen des Medizinmannes breiteten alle die Arme aus und berührten mit den Köpfen die Erde. So verharrten sie unbeweglich, bis das Feuer sein Werk vollendet hatte.

Judith und Toby, beide in Jagdkleidung und mit Revolvern bewaffnet, ritten durch ein flaches Flußbett. Toby fragte: «Sind wir hier eigentlich schon im Gebiet der Comantschen?» «Schon lange», antwortete Judith. «Aber bevor wir den Fluß hinauf reiten, wollen wir uns ausruhen und etwas essen. Hoffentlich ist der Bandit mit den Plänen gleich zum Teufelskopf geritten, so daß wir ihn dort stellen können.» Beide stiegen nun ab und machten sich an ihren Satteltaschen zu schaffen. Tobys Pferd bewegte sich einige Schritte zur Seite, und er folgte ihm, um noch die Wasserflasche zu holen. In diesem Augenblick sprang lautlos ein Indianer aus dem Gebüsch, hielt Judith blitzschnell von hinten die Hand auf den Mund, packte sie und begann sie wegzuschleppen. Aber das Mädchen wehrte sich kräftig und schlug dem Angreifer die Sporen gegen die Schienbeine. Erstaunt ließ sie der Indianer einen Moment los. Schnell griff sie nach ihrem Revolver, aber der Indianer packte ihre Hand, und der Schuß ging in die Luft. Erschreckt fuhr jetzt Toby herum, rannte auf den Roten los, riß ihn zu Boden und schlug sein Handgelenk kräftig auf einen Stein, so daß er sein Messer fallenlassen mußte. Aber Toby hatte nicht mit der Gewandtheit des Indianers gerechnet. In Sekundenschnelle wendete sich das Blatt, Toby lag auf dem Boden, und über ihm hob der Indianer das Messer zum Stoß. Aber Judith sprang ihn von hinten an und gab ihm mit dem Revolver einen Schlag auf den Kopf. Bewußtlos sank er zur Seite, und Toby konnte sich erheben. Ärgerlich fragte Judith: «Was machen wir jetzt mit ihm?» Toby entgegnete: «Du solltest lieber fragen, was machen sie mit uns, schau dort: ..!» Jetzt sah auch das Mädchen die zehn Indianer durch den Fluß auf sie zukommen. Rasch entschlossen rief sie: «Wir müssen weg - schnell!» Schon saß sie auf ihrem Pferd und jagte davon, Toby so schnell wie möglich hinter ihr drein. Aber die Indianer hatten bereits das Ufer erreicht und nahmen die Verfolgung auf. Judith und Toby ließen ihre Pferde das letzte hergeben, aber sie waren nicht imstande, ihre Verfolger abzuschütteln. Schließlich wurden sie von den Indianern eingekreist und gefangengenommen. Gefesselt auf ihren Pferden festgebunden wurden sie an den Lachssee ins Lager der Comantschen geführt. Dort wurden sie von den Pferden gerissen und an zwei dicken Pfählen festgebunden. So mußten sie in der prallen Sonne stehen, ohne sich bewegen zu können, während ihre Bewacher unter einem Schutzdach im Schatten saßen. Leise sagte Judith zu Toby: «Ich habe Angst ... ob sie uns foltern werden?» Toby antwortete: «Verzeih mir, ich hätte nicht erlauben dürfen, daß du mitkommst. Aber jetzt ist es zu spät.»
Inzwischen waren auch Old Surehand und Old Wabble am Fluß angekommen und hatten bald die Stelle erreicht, wo Judith und Toby mit den Indianern gekämpft hatten. Old Surehand beugte sich über die Spuren und deutete sie: «Zehn unbeschlagene Pferde, also Indianer. Zwei beschlagene Pferde, also Weiße. Und hier ein langes, blondes Haar! Judith! Judith und Toby wurden hier überfallen! Aber einer der Indianer wurde verwundet. Hier ist Blut mit langen, schwarzen Haaren! Wo ist er wohl?» Er blickte sich suchend um, als auch schon aus einem Baum der von den Indianern zurück-

gelassene Wächter mit gezücktem Messer direkt auf Old Wabble heruntersprang und ihn aus dem Sattel riß. Blitzschnell drehte sich Old Surehand um und schoß aus der Hüfte. Der Indianer fiel zu Boden und rollte zur Seite. Das Messer hatte Old Wabble nicht einmal gestreift.
Bald hatte Old Surehand die Spur gefunden, welche Toby und Judith, verfolgt von den Indianern, zurückgelassen hatten. Schnell stiegen sie jetzt auf, um den beiden Weißen wenn möglich zu helfen.

Old Surehand hatte geahnt, wohin die Spuren führen würden. Bald sah er seine Vermutung bestätigt, als sie am Ufer des Lachssees ankamen. In einem kleinen Gehölz versteckten sie ihre Pferde und gingen dann hinter einem Felsblock in Dekkung, von dem aus sie einen guten Überblick über den ganzen See hatten. Ohne selber gesehen zu werden, konnten sie von hier aus alles beobachten, was auf dem Wasser und an den Ufern geschah. Friedlich lag der See in der gleißenden Sommersonne. Feine Wellen kräuselten sich unter einem sanften Windhauch. Kleine Inseln von Schilf und Seegras trieben träge dahin. Auf der gegenüberliegenden Seeseite hinter einem Hügel befand sich das Comantschenlager. Alles schien dort ruhig zu sein, kein Lärm ertönte, nur einige Rauchfahnen stiegen von Lagerfeuern auf. Vor dem Lager am Seeufer sah Old Surehand Judith und Toby, die immer noch an die Pfähle gefesselt waren. Seine scharfen Augen erkannten, daß die beiden erschöpft und am Ende ihrer Kraft waren. Man mußte ihnen bald zu Hilfe kommen. Mit den beiden Wachen würde er leicht fertig werden, aber Old Wabble mußte mitkommen, uni sich um die Pferde der beiden zu kümmern.
Ein leises Plätschern ließ die beiden Männer aufhorchen. Ein Kanu mit einem einzelnen Indianer näherte sich. Bestimmt war dies die Ablösung für den Wächter beim Baum am Bach. «Das Kanu können wir brauchen», flüsterte Old Surehand, «paß auf!» Schnell löste er sein Lasso vom Gürtel und schwang es blitzschnell über dem Kopf. Sirrend schnellte es dann über das Wasser, und die Schlinge legte sich dem überrumpelten Indianer um Arme und Oberkörper. Mit vereinten Kräften zogen sie den Gefangenen samt dem Kanu schnell an Land. Er wurde gefesselt ins Gebüsch gelegt und das Kanu sorgfältig mit Schilf und Zweigen getarnt, so daß es für eines der schwimmenden Inselchen gehalten werden konnte. Old Surehand und Old Wabble stiegen ein und paddelten vorsichtig aus dem Schilf hinaus. Im Lager war alles ruhig geblieben. Niemand hatte etwas gemerkt, und mit einem Handkantenschlag hatte Old Surehand dafür gesorgt, daß der Gefesselte einstweilen nicht um Hilfe rief.
Erst ließen sich die beiden Freunde eine Weile treiben, dann fingen sie so leise zu paddeln an, daß kein Plätschern und keine Wellen sie verraten konnten. Leider mußten sie eine andere Richtung einschlagen als die natürlichen Inselchen. Aber Old Surehand hoffte, die Comantschen würden an diesem heißen Sommertag nicht allzu wachsam den See beobachten. Und sie kamen auch wirklich ohne bemerkt zu werden in die Nähe des andern Ufers.

Judith und Toby hingen mehr in den Stricken, als daß sie an den Pfählen standen. Die Haare hingen ihnen schweißverklebt ins Gesicht, ihre Zungen waren ausgedörrt vor Durst. Hoffnungslos hob Judith den Kopf und blickte über den See. Sie sagte sich, daß sie wohl niemals wieder ihre Heimat sehen werde. Doch plötzlich bekamen ihre Augen einen wachsamen Ausdruck, ihre Gestalt straffte sich unwillkürlich. Bewegte sich dort nicht ein Inselchen ganz anders herum als die übrigen? Ja, sie hatte recht gesehen. Etwas kam über den See gerade auf sie zu. «Toby», flüsterte sie, «es kommt jemand, dort, über den See.» Und laut rief sie den beiden Wachen zu: «Heda, ihr beiden, ich will den Häuptling sprechen! Ich will ihm alles sagen, was ich weiß!» Der alte Wächter deutete auf den jungen und sagte: «Rumil wird ihn holen.» Auf Indianisch erteilte er diesem einen Befehl. Sofort stand der Wächter auf und entfernte sich.
Auch Toby hatte jetzt das Inselchen bemerkt und seine Bedeutung erkannt. Er begann, an seinen Fesseln zu ziehen und zu zerren. Der alte Indianerwächter lachte nur: «Riemen gut. Bärenhaut. Bleichgesicht zu schwach für Zerreißen.» Inzwischen war Old Surehand hinter einem Busch ans Ufer gestiegen und tauchte jetzt hinter dem Alten auf. Mit seinem berühmten Handkantenschlag streckte er ihn lautlos zu Boden. Schnell zog er darauf sein Messer aus dem Gürtel und befreite Judith und Toby von ihren Fesseln. Judith wollte ihm um den Hals fallen, aber er stieß sie weg und herrschte sie an: «Nehmt das Boot und verschwindet!» Judith zögerte noch. Da wurden näherkommende Indianerstimmen laut. «Tut, was ich sage», zischte Old Surehand, «los verschwindet!» Zu Old Wabble, der jetzt auch angekommen war, sagte er: «Die Pferde!» Die Indianerstimmen tönten jetzt ganz in der Nähe. Judith und Toby verschwanden im Schilf, setzten sich eilig in das Boot und ruderten los. Old Wabble schlüpfte unter den Hecken durch, um die Pferdeweide zu suchen.
Als der junge Wächter mit dem Häuptling am Ufer ankam, war der Platz verlassen. Old Surehand hatte sich hinter einem Busch versteckt. Erstaunt blieb Maki-Moteh stehen. Mit zwei Sätzen sprang ihn Old Surehand von hinten an, riß ihn zur Seite, umklammerte ihn und setzte ihm die Messerspitze auf die Brust. Der junge Wächter lief schreiend ins Lager zurück. Bald darauf tauchten von allen Seiten Indianer am Ufer auf. Sogar die Wächter auf der Pferdeweide verließen auf das Geschrei hin ihren Posten und rannten zum See.
Sobald die Weide unbewacht war, erhob sich Old Wabble, der hinter einem gestürzten Baumstamm auf einen günstigen Moment gewartet hatte. Unter den ungesattelten Indianerpferden erkannte er bald die Pferde von Judith und Toby. Leise schnalzte er mit der Zunge, und die beiden Pferde hoben fast gleichzeitig die Köpfe und spitzten die Ohren. Jetzt schnalzte er zweimal und flüsterte lockend: «Kommt her, ihr Süßen, ihr bekommt etwas.» Da schüttelte das eine Pferd wiehernd den Kopf und setzte sich in Bewegung. Das zweite folgte ihm. Gleichzeitig setzten sie dann mit federndem Sprung über die Umzäunung und hielten bei Old Wabble an, der sie ohne Mühe fassen und wegführen konnte.
Unten am Seeufer hielt Old Surehand noch immer drohend

das Messer auf Maki-Motehs Brust. Dicht gedrängt und finster blickend standen die Indianer dabei, wagten aber nichts zu unternehmen. Gespannte Stille herrschte. Endlich sprach Old Surehand: «Der große Häuptling der Comantschen gebe mir sein Wort, daß ich frei sprechen darf, wenn ich ihn loslasse.» Sofort antwortete Maki-Moteh: «Ich gebe mein Wort!» Daraufhin ließ ihn Old Surehand frei und steckte das Messer in den Gürtel zurück. Jetzt, da ihr Häuptling nicht mehr in Gefahr war, kamen die Indianer drohend auf das Bleichgesicht zu. Aber Maki-Moteh hob den Arm und gab seinen Leuten einen Befehl. Sofort blieben sie stehen. Dann wandte er sich an Old Surehand und forderte ihn auf, zu sprechen. Dieser begann: «Ich weiß, daß der Häuptling der Comantschen wegen des Mordes an seinem Sohn das Kriegsbeil ausgegraben hat. Ich weiß auch, daß für den Tod dieses einzigen viele Comantschen in diesem Krieg werden sterben müssen. Und dies nur, weil dieser einzige der Sohn des Häuptlings war.» Maki-Moteh nickte: «Es ist, wie das Bleichgesicht sagt.» Old Surehand fuhr fort, langsam und eindringlich: «Aber wenn ich euch den Mörder bringe ...» Der Häuptling blickte zögernd zu seinen Stammesgenossen hinüber, dann sprach er: «Wenn Old Surehand mir den Mörder meines Sohnes bringt, werde ich das Kriegsbeil begraben. - Aber wenn die Trommeln verstummen, und der Mörder wurde mir nicht gebracht, ist Krieg!» Old Surehand versicherte: «Ich werde mein bestes tun - ich werde ihn bringen.»
Auf ein Zeichen Maki-Motehs zogen jetzt zwei junge Indianer ein Boot ins Wasser. Der Häuptling deutete darauf und sagte: «Du hast nicht viel Zeit.» Old Surehand verstand und bestieg ohne ein weiteres Wort das Boot. Die Indianer setzten sich zu ihm und ruderten mit kräftigen Schlägen über den See. Judith und Toby waren längst am gegenüberliegenden Ufer in Sicherheit, ließen ihre Kleider trocknen und ruhten sich im Schatten aus. Erleichtert beobachteten sie, wie Old Surehand und die Indianer das Boot bestiegen. Demnach war ihr Retter mit Maki-Moteh einig geworden. Ungeduldig erwarteten sie ihn, um sich für seine Hilfe zu bedanken. Bald rauschte das Kanu ins Schilf, Old Surehand sprang ans Ufer, und die Indianer ruderten sofort wieder auf den See hinaus. Erst als sie außer Hörweite waren, rief Toby leise: «Mister Garden! Wir sind hier!» Judith stürzte auf ihn zu und rief überschwänglich: «Wie kann ich ihnen je danken für das, was sie ...» Hier wurde sie von Old Surehand unterbrochen: «Das ist schon in Ordnung, aber was um Himmelswillen tut ihr beide hier in dieser Gegend!» «Wir wollen Onkel Bens Goldmine abstecken, bevor die andern kommen», erklärte Judith. Sie stieß aber bei Old Surehand auf wenig Verständnis: «Was Ben zehn Jahre suchen mußte, wollt ihr in drei Tagen finden», schimpfte er, «verrückt seid ihr alle beide.» In diesem Augenblick kam Old Wabble mit den Pferden an. «Gut gemacht», lobte ihn Old Surehand. Dann stiegen alle vier auf und ritten auf die Grenze des Comantschengebietes zu. Von dort sollten Judith und Toby allein heimreiten, und Old Surehand wollte sich nach dem Mörder seines Bruders auf die Suche machen.

FORTSETZUNG: OLD SUREHAND 1. TEIL  TEIL B


ORIGINAL

ALLE BILDER AUS DEM ULTRASCOPE-FARBFILM "OLD SUREHAND 1. TEIL" NACH DEM GLEICHNAMIGEN ROMAN VON KARL MAY
©1965
PRODUKTION: RIALTO/ JADRAN FILM
VERLEIH: CONSTANTIN-FILM


(*) Es gab nur einen »OLD SUREHAND« Karl May Film:
Original-Titel: "OLD SUREHAND 1. TEIL"

  FORTSETZUNG: OLD SUREHAND 1. TEIL  TEIL B